Nürnberger Ketzerprozesse

gegen Kindermordgegner

EINE KETTE VON RECHTSBEUGUNGEN

III.1.g. Berufungsurteil

 

Aktenzeichen: 4 Na 404 Js 41595/1998

 

IM NAMEN DES VOLKES!

 

URTEIL

 

der 4. Strafkammer bei dem Landgericht Nürnberg-Fürth in der Strafsache gegen

 

Dr. Lerle Johannes, geb. am 01.06.1952 in Halle, deutscher Staatsangehöriger, ledig, selbständiger Unternehmer, Brüxer Str. 25, 91052 Erlangen

 

wegen Beleidigung u. a.

Berufung gegen das Urteil des Amtsgerichts Fürth vom 03.02.2000,

aufgrund der Hauptverhandlung vom 22.05.2000, an der teilgenommen haben:

Vorsitzender Richter am Landgericht Kriegel als Vorsitzender

Willi Sroka, Nürnberg Karl Paul, Nürnberg als Schöffen

Staatsanwältin Eckenberger als Beamtin der Staatsanwaltschaft

JOSin Rieger als Urkundsb. der Geschäftsstelle

 

 

I. Die Berufung des Angeklagten gegen das Urteil des Amtsgerichts Fürth vom 03. Februar 2000 wird als unbegründet verworfen.

II. Der Angeklagte hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.

 

 

GRÜNDE:

I .

Das Amtsgericht Fürth hat den Angeklagten am 03.02.2000 wegen Beleidigung mit übler Nachrede zu einer Geldstrafe von 50 Tagessätzen zu je DM 20,00 verurteilt.

Gegen dieses Urteil hat der Angeklagte am 07.02.2000 Berufung eingelegt. Er will freigesprochen werden.

Die Berufung ist unbegründet.

 

II.

Die Kammer hat in -der Berufungsverhandlung zur Person des Angeklagten und zum Sachverhalt folgende Festellungen getroffen:

1.Der 47-jährige, ledige Angeklagte stammt aus Halle in Sachsen. Er lebte bis 1983 in der früheren DDR und studierte dort Theologie. Im Mai 1985 siedelte er in die Bundesrepublik Deutschland über und setzte in Erlangen sein Theologiestudium fort, das er schließlich im Jahre 1989 mit der Promotion abschloß.

Nachdem der Angeklagte früher halbtags bei Aldi gearbeitet hat, betreibt er nunmehr selbständig ein Entrümpelungsunternehmen. Zu seinen diesbezüglichen Einkünften macht er keine Angaben.

Die von ihm zu bezahlende Miete beläuft sich auf DM 346,00. Auch für sein Krankenkassenbeitrag muß er selbst aufkommen.

Neben seinen Einkünften aus seiner Unternehmertätigkeit erhält der Angeklagte "ein wenig" Arbeitslosenhilfe.

Der Angeklagte ist angagierter Abtreibungsgegner. Er wendet sich mit Vehemenz auch gegen die geltende Abtreibungsregelung. Seine diesbezüglichen Aktivitäten haben dazu geführt, daß der Angeklagte vom Amtsgericht Nü rnberg mit Urteil vom 11.03.1998, rechtskräftig seit 23.06.1999, wegen Beleidigung zu einer Geldstrafe von 60 Tagessätzen zu je DM 20,00 verurteilt wurde. Die diesbezügliche Ersatzfreiheitsstrafe hat er in der Zeit vom 21.02. bis 18.04.2000 verbüßt.

Der Angeklagte zeichnete presserechtlich verantwortlich für das Flugblatt "Waigel für VTötungskapazitäten", in dem es unter anderem heißt:

"Indem auch Dr. Waigel andere beauftragt hat, Tötungskapazitäten bereitzustellen, wandelt er in den Fußstapfen des demokratisch gewählten Reichskanzlers Adolf Hitler, der ebenfalls andere beauftragte, Tötungskapazitäten bereitzustellen. Wie der nationalsozialistische Staat den "Achtungsanspruch" seiner Schergen schützte, so schützen auch heute Richter den Ruf von solchen Kriminellen, die die Rückendeckung z. B. Dr. Waigels genießen."

Desweiteren ist in diesem Flugblatt auch folgende Passage enthalten:

"Wegen angeblicher Beleidigung eines bundesweit bekannten Tötungsspezialisten für ungeborene Kinder wurde ich (Johannes Lerle) durch Richter Ackermann vom Amtsgericht Nürnberg zu einer Geldstrafe von 60 Tagessätzen verurteilt. Ob diese Rechtsbeugung auch in der 2. Instanz Bestand hat, wird sich bei der öffentlichen Berufungsverhandlung des Strafprozesses zeigen, die am Dienstag, den 08.09.1999, 10.00 Uhr im Sitzungssaal 144/1 des Landgerichts Nürnberg-Fürth im Justizgebäude in der Fürther Straße 110 in Nürnberg stattfindet."

Entsprechend seiner vorgefaßten Absicht fühlten die Geschädigten Dr. Waigel und Richter am Amtsgericht Ackermann durch diese Äußerung des Angeklagten in ihrem sozialen Wert herabgewürdigt und in ihrer Ehre gekränkt.

Der Angeklagte steckte Exemplare dieses Flugblatts in unbekannter Anzahl am 29.07.1998 in zahlreiche Briefkästen im Stadtgebiet von Fürth. Am 31.07.1998 wurde der Angeklagte gegen 14.30 Uhr vor Beginn einer Versammlung in Fürth, auf der der Geschädigte Dr. Waigel sprach, angetroffen, wobei bei ihm insgesamt 1155 dieser Flugblätter beschlagnahmt wurden.

Der Geschädigte Dr. Waigel hat am 30.07.1998 form- und fristgerecht Strafantrag gegen den Angeklagten gestellt. Für den Geschädigten Richter am Amtsgericht Ackermann hat dies dessen Dienstvorgesetzter am 03.08.1998 form- und fristgerecht getan.

III.

Die Feststellungen zur Person des Angeklagten beruhen auf dessen Angaben, den von ihm als richtig anerkannten Auszug aus dem Bundeszentralregister sowie auf dem Urteil des Amtsgerichts Nü rnberg vom 11.03.1999 (Az: 45 Cs 404 Js 43127/97).

Die Festellungen zum Sachverhalt beruhen auf der Einlassung des Angeklagten, soweit ihr gefolgt werden konnte, sowie auf dem verfahrensgegenstä ndlichen Flugblatt (Bl. 5 f. d. A.). '

Der Angeklagte räumt ein, für die genannten Flugblätter presserechtlich verantwortlich zu sein und diese Flugblätter angefertigt und schließlich auch verteilt zu haben.

Er stellt jedoch mit Nachdruck in Abrede, sich hierdurch der Beleidigung und (oder) der üblen Nachrede schuldig gemacht zu haben.

Hierzu führt der Angeklagte im wesentlichen folgendes aus:

Bei der Abtreibung würden Menschen getötet, denn bei den Embryos handele sich bereits um Menschen.

Diese Kindermorde seien - weil sie seit Ende des Krieges in millionenfacher Zahl erfolgt seinen - schlimmer als das, als Hitler getan habe. Er habe deshalb Waigel zu Recht mit Hitler verglichen. Waigel habe durch sein Votum für die Bereitstellung von Kapazitäten zur Durchführung von Schwangerschaftsabbrüchen dazu beigetragen, daß die Tötung von Menschen zu einer gesellschaftlichen Aufgabe gemacht werde. Daß dies im Rahmen geltender Gesetzes ablaufe, ändere nichts daran, daß es sich um verabscheuungswürdige Verbrechen handele.

Im übrigen habe er bei seinem Vergleich mit Hitler den historischen Hitler und nicht das übertrieben schlimme Hitlerbild, wie es uns von den USA aufgedrängt werde, gemeint.

Schließlich habe er lediglich von seinem Recht auf freie Meinungsäußerung Gebrauch gemacht. Diesbezüglich müsse - insbesondere zu Zeiten des Wahlkampfes - das Äußerste hingenommen werden.

Im übrigen sei Waigel gar nicht beleidigungsfähig, weil Waigel - da er für die Tötung von Menschen votiert habe - keine Ehre habe.

Dasselbe gelte für Richter Ackermann, da dieser mit seinem Urteil vom 11.03.1999 den Dr. Freudemann vor seiner (des Angeklagten) berechtigten Kritik geschützt und damit die geltenden Rechtsvorschriften über das Naturrecht und Gottesrecht gestellt. Dieser menschenverachtende Rechtspositivismus sei fü ihn jedoch Rechtsbeugung.

Diese Einlassung des Angeklagten ist nicht geeignet, den gegen ihn erhobenen Vorwurf der Beleidigung und der üblen Nachrede zu entkräften.

Im übrigen haben sich keine Anhaltspunkte für eine Einschränkung der Schuldfähigkeit des Angeklagten ergeben.

IV.

Der ngeklagte hat sich somit der Beleidigung und der üblen Nachrede gemäß den §§ 185, 186, 194, 52 StGB schuldig gemacht.

1. Der Anlagte hat durch seine Äußerungen in dem genannten Flugblatt den damaligen Finanzminister Herrn Dr. Waigel mit Hitler gleichgesetzt und damit Herrn Dr. Waigel in massivster Weise beleidigt.

Auch wenn der Angeklagte Herrn Dr. Waigel mit dieser Äußerung nicht beleidigen wollte, so hat er hierdurch jedoch vorsätzlich seine Mißachtung gegenüber Herrn Dr. Waigel zum Ausdruck gebracht und diesen damit in seiner Ehre verletzt.

Entgegen der Auffassung des Angeklagten ist diese Gleichsetzung von Herrn Dr. Waigel mit Hitler auch nicht aufgrund der Wahrnehmung berechtigter Interessen gemäß § 193 StGB gerechtfertigt oder durch das Grundrecht auf freie Meinungsäußerung gedeckt.

Die inkriminierte Äußerung muß selbstverständlich in Kontext mit der über Jahrzehnte geführten - und noch immer andauernden Diskussion - über die Abtreibungsfrage gesehen werden. Bei einer Thematik dieser Art, die auch allgemein die Befugnisse und Grenzen der Machtausübung durch den Stadt betrifft, muß deutliche und sogar auch überzogene Kritik - gerade wenn sie aus der Sicht des Kritikführenden der Anprangerung von Mißständen dient - toleriert werden.

Auch hier gibt es jedoch Grenzen. Diese hat der Angeklagte eindeutig überschritten. Die Gleichsetzung der politischen Tätigkeit Dr. Waigels mit der Vorgehensweise Hitlers ist inakzeptabel.

Das Tätigwerden Dr. Waigels (auch) in Sachen Abtreibung.stützt sich auf demokratisch zustande gekommene Gesetze. Diese Gesetze stehen nach der ganzen überwiegenden Mehrheit der Bürger ihrerseits auch im Einklang mit dem Naturrecht.

Im übrigen gibt es auch in den anderen zivilisierten Staaten zur Problematik der Abtreibung vergleichbare Regelungen wie in der Bundesrepublik Deutschland.

Nach den Erkenntnissen der Wissenschaft ist zwischen Mensch und Embryo, d. h. dem ungeborenen menschlichen Leben, zu unterscheiden. Dies hat im Gesetz auch in der unterschiedlichen Regelung der §§ 211 f., § 217 StGB und des § 218 StGB seinen Niederschlag gefunden.

Der Angeklagte mag diesbezüglich anderer Meinung sein und diese auch vehement vertreten.

Indem der Angeklagte dies alles jedoch völlig negiert und seine eigene Meinung in solch rüder Art und Weise über die Meinung der anderen - zudem der Mehrheit, die nicht nur das Gesetz, sondern durchaus auch die Moral auf ihrer Seite hat - kann er sich nicht mehr auf das Grundrecht der freien Meinungsäußerung und die Wahrnehmung berechtigter Intressen berufen.

 

2. Der Angeklagte hat mit dem genannten Flugblatt des weiteren den Tatbestand des § 186 StGB verwirklicht.

Denn der Angeklagte hat hierin behauptet, der Richter am Amtsgericht Ackermann habe mit dem Urteil vom 11.03.1998 Rechtsbeugung, also vorsätzliche Mißachtung des geltenden Rechts, betrieben. Er hat damit eine Tatsache behauptet, welche - zunächst falsch - und im übrigen geeignet ist, Herrn Richter am Amtsgericht Ackermann verächtlich zu machen.

Auch hier kann sich der Angeklagte zur Rechtfertigung nicht auf die Wahrnehmung berechtigter Interessen oder das Grundrecht der freien Meinungsäußerung berufen.

Insoweit gelten hierzu zunächst die obigen Ausführungen zum Vorwurf der Beleidigung gegenüber Herrn Dr. Waigel entsprechend.

Es handelt sich bei dem vom Angeklagten erhobenen Vorwurf der Rechtsbeugung um eine Äußerung in einem gerichtlichen Verfahren, die im weiteren Sinn der Rechtsverteidigung diente.

Hier sind bei der Anwendung des § 193 StGB auch die Auswirkungen des Rechtsstaatsprinzips auf die durch Artikel 2 Abs. 1 GG grundrechtlich geschützte Betätigungsfreiheit zu berücksichtigen.

Das bedeutet, daß der Betroffene "im Kampf um das Recht auch starke, eindringliche Ausdrücke und sinnfällige Schlagworte benutzen darf, um seine Rechtsposition zu unterstreichen.

Allerdings setzt der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit auch der Zulässigkeit solcher Äußerungen Grenzen. Danach ist mißbräuchliches Vorbringen nicht durch § 193 StGB gerechtfertigt. Dies gilt z. B. auch für ehreverletzende Äußerungen und Tatsachenbehauptungen, deren Unhaltbarkeit ohne weiteres auf der Hand liegt.

Dies ist hier der Fall.

Einen schlimmeren Vorwurf als den der Rechtsbeugung gibt es für einen Richter als solchen nicht.

Dies war auch dem Angeklagten bewußt.

Der Angeklagte wußte, daß sich Herr Richter Ackermann mit seinem Urteil vom 11.03.1998 an die geltenden Gesetze gehalten hat, und daß diese Gesetze nach der überwiegenden Auffassung der Bürger auch im Einklang mit dem Recht schlechthin stehen.

Er hat deshalb mit seiner Behauptung der Rechtsbeugung bewußt das Risiko einer Verurteilung wegen übler Nachrede auf sich genommen.

Die gemäß S 194 StGB erforderlichen Strafanträge wurden form- und fristgerecht gestellt.

V.

Bei der Strafzumessung ist vom Strafrahmen des § 186 StGB - zweite Variante - auszugehen, der auf Geldstrafe oder Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren lautet.

Die Überlegungen zur Strafzumessung werden vorrangig davon bestimmt, daß es sich bei dem Angeklagten um einen Überzeugungstäter handelt. Das Grundmotiv seines Handelns ist verständlich. Dies muß sich ganz erheblich strafmildernd auswirken.

Im übrigen spricht für den Angeklagten, daß er zur Tatzeit nicht vorbestraft war und von vorneherein den ihm zur Last gelegten Sachverhalt eingeräumt hat.

Strafschärfend konnte nicht außer Betracht bleiben, daß der Angeklagte mit seinen Äuß erungen in den genannten Flugblatt zwei Personen verunklimpft hat und diese Verunklimpfungen äußerst massiv waren.

Ausgehend von diesen Gesichtspunkten hält auch die Kammer eine Geldstrafe von 50 Tagessä tzen fŸr ausreichend, aber auch für erforderlich.

Unter Zugrundelegung der sehr eingeschränkten Einkommensverhältnisse des Angeklagten war der einzelne Tagessatz auf DM 20,00 festzusetzen.

VI.

 Die Kostenentscheidung beruht auf § 473 Abs. 1 Stop.

 

gez. Kriegel

VRiLG