III.b. Brief von Ernst Lerle an Theo Waigel
Ohne mein Wissen wendete sich mein Vater mit nachfolgendem Schreiben an Dr. Theodor Waigel. Der Brief meines Vaters wird auch das Strafverfahren wegen des
Flugblattes “Auf zum Ketzerprozeß” beeinflussen.
Prof. Dr. Ernst Lerle, Gleiwitzer Str. 60, D-91058 Erlangen, Tel (09131) 36821
DEUTSCHER BUNDESTAG
c/o CDU/CSU-Bundestagsfraktion
Herrn Dr. Theo Waigel
53113 Bonn
Erlangen, den 07.06.1999
Betr.: Strafsache gegen meinen Sohn Johannes Lerle
Anklageschrift der Staatsanwaltschaft Nürnberg/Fürth
vom 14.10.1999 / AZ: 404 Js 41595/98
Sehr geehrter Herr Dr. Waigel,
mein Sohn wird beschuldigt, in zwei rechtlich zusammentreffen den Fällen zwei Personen (Sie, Herr Dr. Waigel, sowie den Richter Herrn Ackermann)
beleidigt zu haben. Die Verhandlung ist für den 1. Juli 1999 angesetzt.
Ich wähle mit dem vorliegenden Schreiben an Sie einen unkonventionellen Weg, um Sie über Hintergründe und Zusammhänge der verbalen
Entgleisungen meines Sohnes zu informieren. Mein Sohn schöpft vorhandene Möglichkeiten nicht aus, um seine Aktivitäten, für die er strafrechtlich zur Verantwortung gezogen wird, positiv darzulegen. Er will vielmehr
Verurteilung und Gefängnis als vermeintliche Konsequenzen eines kompromißlosen Einsatzes für das Lebensrecht Ungeborener als Pflichterfüllung im Sinne christlicher Ethik hinnehmen. Dadurch bleiben folgende Tatsachen
unbeachtet:
1. Eine der Ursachen für die überdosierte Polemik in den Aktivitäten meines Sohnes ist eine Persönlichkeitsstörung mit querulatorischen Anteilen auf dem Boden
frühkindlicher Hirnschädigung.
2. Starkes Echo in Presseorganen auf Aktivitäten meines Sohnes hat seine Zurückhaltung blockiert. Doch sogar in einem wohlwollenden umfangreichen Bericht
(Artikel "Johannes in der Löwengrube", Spiegel spezial, 1/1999, S. 120-122, bes. S. 121) wird der Zusammenhang zwischen den Aktivitäten des Angeschuldigten und dessen frühkindlicher Erkrankung an
Hirnhautentzündung angesprochen.
3. Trotz seiner Neigung zur Einseitigkeit und zu gelegentlichen rigoristischen Überspitzungen war mein Sohn den Anforderungen eines Studiums und einer
Promotion gewachsen. Doch in den letzten Jahren haben sich zunehmend intellektuelle Schwächen eingestellt, die ihm die Ausübung eines Berufes unmöglich machen. In seiner Polemik gegen Schwangerschaftsabbrüche hat er die
Fähigkeit verloren, zwischen einer Argumentation ad rem und Beschimpfungen ad hominem zu unterscheiden. Das ist der Hintergrund der Beleidigungen, für die er jetzt strafrechtlich zur Verantwortung gezogen wird. Im letzten Monat
hat sich sein psychischer Zustand dermaßen verschlechtert, daß er nicht einmal mehr mit seinen Eltern sachlich diskutieren kann.
4. In fanatischer Hingabe für die Lebensrettung von Kindern vor ihrer Geburt hat mein Sohn sich nie in den Grenzbereich zur Gewalttätigkeit begeben, sondern ist
stets im Bereich verbaler Attacken geblieben.
Ich bitte Sie, die von mir genannten Fakten in die Beurteilung dieses Falles einzubeziehen.
Eine Kopie dieses Briefes geht an den Richter vom Amtsgericht Nürnberg, Herrn Ackermann, dessen Name in der Anklageschrift genannt ist.
Mit vorzüglicher Hochachtung
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