Nürnberger Ketzerprozesse

gegen Kindermordgegner

EINE KETTE VON RECHTSBEUGUNGEN

VI.j. Berufungsurteil

 

Aktenzeichen: 8 Ns 404 Js 30018/2000

 

 

IM NAMEN des VOLKES!

 

U R T E I L

 

der 8. Strafkammer bei dem Landgericht Nürnberg-Fürth in der Strafsache gegen

Dr.   L e r l e Johannes, geb. am 01.06.1952 in Halle, deutscher Staatsangehöriger, ledig, freiberuflich im Entrümpelungsgewerbe, Brüxer Str. 25, 91052 Erlangen

wegen Beleidigung

Berufung gegen das Urteil des Amtsgerichts Nürnberg vom 24.05.2000,

aufgrund Hauptverhandlung vom 10.07.2001, an der teilgenommen haben:

Richter am Landgericht Dr. Meyer als Vorsitzender

Juan Cabrera Aranda, Nürnberg  Helmut Schaller, Seukendorf .. als Schöffen

StA (Grl) Beck als Beamter der Staatsanwaltschaft

JHS Fuhrich als Urkundsb. der Geschäftsstelle

.

I. Die Berufung des Angeklagten gegen das Urteil des Amtsgerichts Nürnberg vom 24.05.2000 wird verworfen.

II. Der Angeklagte hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.

 

GRÜNDE:

I.

Das Amtsgericht Nürnberg verurteilte den Angeklagten am 24. Mai 2000 wegen Beleidigung zu einer Geldstrafe von 150 Tagessätzen à 20,00 DM (insgesamt 3.000,00 DM). Desweiteren erkannte das Amtsgericht auf Einziehung sichergestellter Flugblätter.

Gegen dieses in seiner Anwesenheit verkündete Urteil hat der Angeklagte am 27. Mai 2000 Berufung eingelegt. Die Berufung ist form- und fristgerecht erhoben und begegnet in formaler Hinsicht keinen Bedenken. Mit seinem Rechtsmittel erstrebt der Angeklagte Freispruch vom Vorwurf der Beleidigung.

II.

1.

Zu den persönlichen Verhältnissen des Angeklagten hat die Kammer folgende Feststellungen getroffen:

Der Angeklagte wuchs in geordnetem Familienverbund in Halle auf und besuchte dort, ohne Schwierigkeiten, die POS. Er erwarb das Abitur mit Chemiefacharbeiterbrief und war von 1969 bis 1972 in dem erlernten Beruf tätig. Bereits im Jahr 1965 hatte er in der Schule Schwierigkeiten, da er nicht in der FDJ war und außerdem in einem Aufsatz bei den Lehrkräften für Unwillen gesorgt hatte.

Schließlich studierte der Angeklagte in den 70-er Jahren am theologischen Seminar der Lutherischen Freikirche in Leipzig, deren Vorstand sein Vater war, Theologie und fertigte im Jahr 1981 eine Dissertation.

1982 siedelte der Angeklagte unter ungeklärten Umständen in die Bundesrepublik Deutschland über. Seit dem schlägt er sich mit Gelegenheitsarbeiten durch und geht in seiner Freizeit seinem Hauptinteresse nach, nämlich dem Abfassen theologisch motivierter Abhandlungen zu gesellschaftspolitisch aktuellen Themen.

Augenblicklich verdient der Angeklagte als freiberuflicher Entrümpler und Gartenbauhelfer circa 1.000,00 DM im Monat. Unterhaltspflichten oder aber andere Verbindlichkeiten bestehen nicht. Der Angeklagte lebt als Sonderling ohne intensivere zwischenmenschliche Beziehungen, die er nur in Kreisen seiner "Anhänger" findet. Nach eigenem Bekunden gehört er der Kirchengemeinde der Rußlanddeutschen an, die eine reine Lehre des Luthertums pflegt.

2.

Die Kammer hat in der Berufungsverhandlung denselben Sachverhalt festgestellt wie das Erstgericht. Auf diesen wird daher verwiesen -UA S. 2 - 4, 2. Absatz.

Ergänzend wurde festgestellt, daß der rechtskräftigen Verurteilung durch das Landgericht Nürnberg-Fürth in Verbindung mit dem Urteil des Amtsgerichts Nürnberg vom 11.03.1998 folgender Sachverhalt zugrunde liegt:

 

[Es folgt der Text der ersten Auflage des Flugblattes “Kindermord im Klinikum Nord”, wegen dessen ich bereits rechtskräftig verurteilt worden war.]

 

Der Angeklagte verteilte eine nicht mehr feststellbare Anzahl dieser Flugblätter am 05.09.1997 gegen 14.50 Uhr vor dem Klinikum Nord in der Flurstraße 17 zu Nürnberg an vorübergehende Passanten. In der Folgezeit wurden diese Flugblätter vom Angeklagten auch noch in Stadtgebieten von Nürnberg und Stein verteilt.

Der Angeklagte, welcher ein Abtreibungsgegner ist, suchte sich Dr. Freudemann als Objekt seines Vorgehens aus, weil dieser nicht nur Abtreibungen vornimmt, sondern auch gegen einer einschränkenden gesetzlichen Regelung des Freistaates Bayern vor dem Bundesverfassungsgerichts geklagt hat.

Dr. Freudemann, welcher sich in seiner Ehre gekränkt fühlt, hat am 05.09.1997 schriftlich und unterschriftlich Strafantrag wegen Beleidigung gestellt.

3.

Im Vorfeld der Hauptverhandlung überreichte der Angeklagte ein Konvolut welches mit "Vorbereitung für den Strafprozeß am 19. Dezember 2000 (Berufungsverhandlung wegen der zweiten Auflage des Flugblattes Kindermord im Klinikum Nord)" überschrieben ist. Diese Stellungnahme befindet sich als Anlage 1 zum Protokoll über die Berufungshauptverhandlung Blatt 140 der Akten. Insoweit wird hierauf verwiesen.

III.

Der festgestellte Sachverhalt ist das Ergibnis der Hauptverhandlung.

Der Angeklagte räumt die Tat als solche ein. Er ist jedoch der Auffassung, er habe sich in rechtlicher Hinsicht keiner Beleidigung schuldig gemacht, da es zulässig sei, Dr. Freudemann zu bezeichnen, wie er beruflich tätig ist. Es müsse zulässig sein, einen Bäcker als Bäcker und einen menschentötenden Mediziner als Berufskiller zu bezeichnen. Insoweit bestehe auch eine Legitimation für sein Vorgehen aus dem "Soldatenurteil” des Bundesverfassungsgerichtes.

Was die Vorstrafe und den dort festgestellten Sachverhalt angeht, beruht dies auf dem vom Angeklagten anerkannten Auszug aus dem Bundeszentralregister und dem verlesenen Sachverhalt der Urteile erster und zweiter Instanz.

IV.

Der Angeklagte hat sich eines Vergehens der Beleidigung schuldig gemacht - §§ 185, 194 StGB.

In dem verfahrensgegenständlichen Flugblatt wird Dr. Freudemann, der innerhalb der gesetzlichen Vorschriften Abtreibungen vornimmt, in seinem sozialen Wert herabgewürdigt und damit in seiner Ehre auf äußerste gekränkt.

In dem Flugblatt wird, ohne hierbei einen Tatsachenkern zu erwähnen, Dr. Freudemann in unmittelbare Nähe zu Folterknechten in KZ's gestellt. Dies ergibt sich aus dem Satz “Dr. Freudemann folter - schlimmer als im KZ -: Die Opfer werden zu Tode gequält und lebendig in Stücke gerissen...”.

Desweiteren wird Dr. Freudemann als Berufskiller bezeichnet. Die Entscheidung des Verfassungsgerichtes in Sachen Dr. Freudemann interpretiert der Angeklagte nämlich mit dem Zusatz "... daß das Grundrecht der freien Berufsausübung auch für Berufskiller" gelte. Hierbei ist dem Angeklagte, was er selbst einräumte, geläufig, daß ein Berufskiller ein Mensch ist, der auf unterster Stufe, was seine Motivation angeht, tötet. In der Hierarchie Täter eines Totschlages - Mörder - kommt der Berufskiller, was die Verwerflichkeit seines Tuns angeht, am Ende, da dieser ohne eigene nachvollziehbare oder auch nur die Tat einigermaßen erklärende Motivation, eine ihm meist unbekannte Person tötet, um in den Genuß von Geld zu gelangen. Der Angeklagte selbst führte aus, er habe diese Bezeichnung bewußt gewählt, um eine Verbindung zwischen der Entlohnung Dr. Freudemanns seitens des Krankenhausträgers beziehungsweise der Krankenkasse und seinen Taten herzustellen.

Das von dem Angeklagten in dem verfahrensgegenständlichen Flugblatt gewählte Werturteil über Dr. Freudemann in zweifacher Hinsicht (Vergleich mit Folter im KZ und Berufskiller) ist mit denjenigen in dem Verfahren 8 Ns 404 Js 433127/97 weitgehend indentisch. Auch dort hatte der Angeklagte Dr. Freudemann als Berufskiller bezeichnet und einen Vergleich mit der Folter im KZ hergestellt. Der Angeklagte wußte demzufolge, daß ebenfalls nach Interpretation der 8. Strafkammer des Landgerichts Nürnberg-Fürth in damaliger Besetzung und des Amtsgerichts Nürnberg rechtfertigende Gründe ihm nicht zur Seite stehen.

Artikel 5 Absatz 2 Grundgesetz gilt, wie jedermann weiß, nicht schrankenlos, sondern findet nach ständiger Interpretation des Verfassungsgerichtes und der Instanzgerichte seine Grenze darin, daß Grundrechte anderer in unzumutbarer Art und Weise eingeschränkt werden.

Desweiteren liegt eine angemessene Interessenwahrung im Sinn des § 193 StGB nicht vor. Dr. Freudemann handelt innerhalb der demokratisch legitimierten gesetzlichen Vorschriften. Dem Angeklagten ist zwar nicht verwehrt, gegen diese Vorschriften auch im Rahmen heftiger Kritik mit Öffentlichkeitswirkung vorzugehen. Dies rechtfertigt aber nicht, daß er ein genau individualisiertes Objekt, nämlich Dr. Freudemann, mit einem Berufskiller vergleicht beziehungsweise einen Zusammenhang zwischen der Tätigkeit Dr. Freudemanns und Folterungen im KZ, die auch historisch belegt sind, herstellt.

Soweit sich der Angeklagte undifferenziert auf das sogenannte “Soldatenurteil” des Bundesverfassungsgerichtes berufen, welches ohnehin in Lehre und weiten Teilen der Rechtssprechung erhebliche Kritik erfahren hat, streitet dieses ebenfalls nicht für ihn. Der Angeklagte verkennt nämlich, daß es dort um eine Beleidigung einer Personengruppe ohne individualisierende Heraushebung einer Person ging. Es steht außer Zweifel, daß zum Beispiel dann, wenn ein Täter zum Beispiel einen Soldaten, der im Rahmen eines UNO-Einsatzes im Kosovo tätig ist, individualisiert als Mörder in öffentlichen Schriften bezeichnen würde, sich der Beleidigung schuldig machen würde.

Der Angeklagte hat sich daher der Beleidigung schuldig gemacht. Die sichergestellten Flugblätter unterliegen gemäß §§ 74, 74 d Strafgesetzbuch der Einziehung.

Die Voraussetzungen des § 21 beziehungsweise 20 StGB sind nicht gegeben. In der Sitzung erstattete der Landgerichtsarzt Sauer ein umfassendes Gutachten zum Geisteszustand des Angeklagten, welches auf früher erhobenen Befunden beruht und letzte Erkenntnisse aus einer Nachexploration am 02.07.2001 wiedergibt. Herr Sauer legte nachvollziehbar und mit großer Sachkunde dar, daß es sich bei dem Angeklagten um eine akzentuierte Persönlichkeit handelt, bei welcher sich fanatische und märtyrerhafte Wesenszüge finden. Dies tangiere aber nicht die Einsichtsfähigkeit oder die Steuerungsfähigkeit in erheblichem Umfang. Diesen Feststellungen schließt sich die Kammer aufgrund eigener Wertung und Beobachtung in der Hauptverhandlung an. Der Angeklagte ist zwar erheblich fanatisiert, vermag das Unrecht seines Tuns aber einzusehen und nach dieser Einsicht zu handeln. Insbesondere sind auch die von dem Angeklagten vorgenommenen Kunstgriffe, mit denen er sich um eine strafrechtliche Relevanz herummogeln will, erkennbar. Anschluß des Umstandes, daß der Angeklagte sehr wohl weiß, wo die Grenzen freier Meinungsäußerungen und der Beginn strafbar relevanten Tuns liegen.

v.

Bei der Strafzumessung konnte zugunsten des Angeklagten Berücksichtigung finden, daß er den äußeren Sachverhalt von Anfang an in vollem Umfang eingeräumt hat. Außerdem sind die Flugblätter eingezogen worden. Eine Wiederholungsgefahr ist insofern nicht mehr gegeben.

Gegen den Angeklagten spricht allerdings, daß er zu Tatzeit einschlägig vorgeahndet war, wobei eine fast völlige Parallelität im Sachverhalt gegeben ist. Im November 1999 war auch der die Revision verwerfende Beschluß des Bayerischen Oberlandesgerichts längst ergangen und an den Angeklagten zugestellt worden. Aus dem gesamten Verhalten des Angeklagten spricht somit eine Hartnäckigkeit die Ihresgleichen sucht und zudem das erkennbare Bestreben des Angeklagten die demokratisch legitimierten Spielregeln, die das gesellschaftliche Zusammenleben einigermaßen erträglich machen sollen, nicht einhalten zu wollen.

Die Kammer erachtet daher in Übereinstimmung mit dem Erstgericht die Verhängung einer Geldstrafe von 150 Tagessätzen für noch schuld- und tatangemessen. Die vom Erstgericht erkannte Höhe des Tagessatzes mit DM 20,00 entspricht den wirtschaftlichen Verhältnissen und ist nicht zu beanstanden.

Die Berufung des Angeklagten ist somit im Ergebnis ohne Erfolg geblieben und war mit der Kostenfolge des § 473 Abs. 1 Satz 1 StPO zu verwerfen. ..

gez. Dr. Meyer

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