Nürnberger Ketzerprozesse

gegen Kindermordgegner

EINE KETTE VON RECHTSBEUGUNGEN

II.1.2. Zivilverfahren Dr. Andreas Freudemann gegen Johannes Lerle

II.1.2.a. Urteil im Zivilverfahren Dr. Andreas Freudemann gegen Johannes Lerle

 

Landgericht Nürnberg-Fürth

17 0 8640/97

Geschäftsnummer:

 

IM NAMEN DES VOLKES

 

Das Landgericht Nürnberg-Fürth, 17. Zivilkammer, erläßt durch den Vorsitzenden Richter am Landgericht Dr. Schmidt, die Richterin am Landgericht Heinemann und die Richterin am Landgericht Reitzenstein

in Sachen

Dr. Andreas Freudemann, Flurstr. 7, 90491 Nürnberg

- Verfügungskläger -

Prozeßbevollmächtigte: Rechtsanwälte Lock & Roth, Aufseßplatz 1, 90459 Nürnberg, Gz.: RC-97-00489, Gerichtsfach 133

gegen

Johannes Lerle, Brüxer Str. 25, 91052 Erlangen

- Verfügungsbeklagter -

Prozeßbevollmächtigte: Rechtsanwalt Alfred L. Rümler, Ludwig-Erhard-Str. 13 90762 Fürth,

(Gz.: Lerle/Klinik)

wegen einstweiliger Verfügung; Unterlassung

aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 20.10.97 folgendes

 

ENDURTEIL

 

I. Der Verfügungsbeklagte hat es zu unterlassen, wörtlich oder sinngemäß folgende "Behauptungen" aufzustellen und/oder zu verbreiten:

1."Kindermord im Klinikum-Nord"

2."Dr. Freudemann tötet Kinder"

3."Dr. Freudemann foltert - schlimmer als im KZ"

4."Ein Berufskiller gibt sich mit Straffreiheit nicht zufrieden"

5."Dr. Freudemann ist ein Mörder"

6."Dr. Freudemann ist ein Kindermörder".

II. Dem Verfügungsbeklagten wird angedroht, daß für jeden Fall der Zuwiderhandlung gegen die in Zifffer I. ausgesprochene Verpflichtung unter Ausschluß des Fortsetzungszusammenhangs ein Ordungsgeld bis zu DM 500.000,-- und für den Fall, daß dieses nicht beigetrieben werden kann, Ordnungshaft bis zu 6 Monaten festgesetzt werden kann.

III. Der Verfügungsbeklagte hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.

 

Beschluß:

 

Der Streitwert wird auf DM 30.000,-- festgesetzt.

 

Tatbestand:

 

Der Verfügungskläger ist niedergelassener Frauenarzt, seine Praxis befindet sich auf dem Gelände des Klinikums Nord der Stadt Nürnberg. Neben sonstigen ärztlichen Leistungen nimmt der Verfügungskläger in seiner Praxis Schwangerschaftsabbrüche vor.

Am 13. August 1997 und am 9. September 1997 verteilte der Verfügungsbeklagte vor dem Gelände des Klinikums Nord in Nürnberg Flugblätter mit den Schlagzeilen "Kindermord im Klinikum Nord, Dr. Freudemann tötet Kinder". Im Text dieser Flugblätter wird anhand von Bildern die Entwicklung eines Embryos aufgezeigt, die Durchführung einer Unterbrechung beschrieben und die Behauptung aufgestellt "Dr. Freudemann foltert - schlimmer als im KZ". Ein Berufskiller gibt sich mit Straffreiheit nicht zufrieden", "Dr. Freudemann ist ein Mörder", "Dr. Freudemann ist ein Kindermörder".

Außerdem äußerte der Verfügungsbeklagte gegenüber Dritten, der Verfügungskläger sei ein "Kindermörder und Verbrecher".

Die genannten Flugblätter wurden im September 1997 von verschiedenen Frauen in ihren Briefkästen gefunden.

Bei einer von der Staatsanwaltschaft am Landgericht Nürnberg-Fürth angeordneten Durchsuchung der Wohnung und der dazugehörigen Räume des Antragsgegners wurden am 11.9.1997 insgesamt etwa 2800 Flugblätter mit der Schlagzeile "Kindermord im Klinikum Nord" gefunden.

Der Verfügungskläger ließ den Verfügungsbeklagten mit Schreiben vom 15.9.1997 erfolglos auffordern, eine Unterlassungs- und Verpflichtungserklärung abzugeben.

Der Verfügungskläger ist der Ansicht, die Äußerungen des Verfügungsbeklagten verletzen ihn widerrechtlich in seinem Persönlichkeitsrecht und erfüllten außerdem den Straftatbestand der Beleidigung.

Der Verfügungskläger beantragt:

I.Der Verfügungsbeklagte hat es zu unterlassen, wörtlich oder sinngemäß folgende Behauptungen aufzustellen und/oder zuverbreiten:

1. "Kindermord im Klinikum-Nord"

2. "Dr. Freudemann tötet Kinder"

3. "Dr. Freudemann foltert - schlimmer als im KZ"

4. "Ein Berufskiller gibt sich mit Straffreiheit nicht zufrieden"

5. "Dr. Freudemann ist ein Mörder"

6. "Dr. Freudemann ist ein Kindermörder".

II.Dem Verfügungsbeklagten wird angedroht, daß für jeden Fall der Zuwiderhandlung gegen die in Ziffer I. ausgesprochene Verpflichtung unter Ausschluß des Fortsetzungszusammenhangs ein Ordnungsgeld bis zu DM 500.000,-- und für den Fall, daß dieses nicht beigetrieben werden kann, Ordnungshaft bis zu sechs Monaten festgesetzt werden kann.

Der Verfügungsbeklagte beantragt, den Antrag des Verfügungsklägers zurückzuweisen.

Dieser ist der Ansicht, er sei aufgrund seines Grundrechts auf freie Meinungsäußerung zu den abgegebenen Äußerungen berechtigt. Er wolle Leben schützen und habe daher geschildert, was bei einem Schwangerschaftsabbruch geschehe.

Wegen des weiteren Sachvortrages wird auf die zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze verwiesen.

 

Entscheidungsgründe:

 I.

Der Antrag auf Erlaß einer einstweiligen Verfügung ist begründet.

Der Verfügungsbeklagte hat es gemäß § 1004, 823 Abs. 2 BGB, § 185 ff StGB zu unterlassen, wörtlich oder sinngemäß die im Urteilstenor genannten "Behauptungen" aufzustellen und/oder zu verbreiten. Denn diese stellen eine Beleidigung gemäß § 185 StGB dar.

1. Die Tätigkeit des Verfügungsklägers verstößt nicht gegen geltendes Recht, gemäß § 218 a Abs. 2 StGB ist ein mit Einwilligung der Schwangeren von einem Arzt vorgenommener Schwangerschaftsabbruch nicht rechtswidrig.

Der Verfügungsbeklagte setzt den Verfügungskläger durch die von ihm in Wort und Schrift verbreiteten Äußerungen wie: "Dr. Freudemann ist ein Mörder, Kindermörder, Kindermord im Klinikum Nord" einem Schwerkriminellen gleich und verletzt dadurch seine persönliche Würde. Das selbe gilt für die Ausdrücke: "Dr. Freudemann foltert - schlimmer als im KZ, ein Berufskiller gibt sich mit Straffreiheit nicht zufrieden". Dem Verfügungskläger wird dadurch nicht nur Mord unterstellt, sondern auch, daß seine Taten sogar schlimmer als die schlimmsten in den Konzentrationslagern durchgeführten Folterungen seien. Auch wird mit dem Ausdruck "Berufskiller" der Eindruck erweckt, der Verfügungskläger gehöre einer kriminellen Organisation an. Auch der Satz: "Dr. Freudemann tötet Kinder" stellt eine Herabsetzung dar, da er im Zusammenhang mit Mord geäußert wird und der Eindruck erweckt wird, wie wenn der Verfügungskläger lebende Kinder abtöten würde und nicht durch einen medizinischen Eingriff Embryonen. Dieser medizinische Eingriff wird entsprechend den Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts (NJW 93, S 1751 ff) erst nach eingehender Beratung durchgeführt, die der Abwägung des Rechts der Mutter auf körperliche Unversehrtheit und des Ungeborenen auf Leben dienen soll.

Im Gegensatz zu dem Ausdruck "Soldaten sind Mörder" der nach der Rechtssprechung des Bundesverfassungsgerichts durch das Grundrecht auf Meinungsfreiheit gedeckt ist, wendet sich hier der Täter nicht gegen ein Kollektiv, sondern bezeichnet den Verfügungsbeklagten persönlich. Jedermann weiß, wer mit den Äußerungen des Verfügungsbeklagten gemeint ist.

2. Das Verhalten des Verfügungsbeklagten ist auch rechtswidrig. Er kann sich nicht auf die Wahrnehmung berechtigter Interessen gemäß § 193 StGB berufen. Zwar ist aus dem vom Verfügungskläger beanstandeten Text der Flugblätter ersichtlich, daß der Verfügungsbeklagte von seinem Grundrecht der Meinungsfreiheit Gebrauch machen will, indem er sich in den Flugblättern mit der - seiner Meinung nach - kriminellen Abtreibungspraxis des Verfügungsklägers im Klinikum-Nord der Stadt Nürnberg auseinandersetzt. Es ist daher eine Abwägung zwischen der Befugnis der freien Meinungsäußerung des Verfügungsbeklagten gegen das Persönlichkeitsrecht, das Recht auf Ehrenschutz des Verfügungsklägers vorzunehmen (BVerfG E 42 163, BVerfG NJW 1995, 3303 ff).

Der Verfügungsbeklagte setzt sich allgemein mit der in der öffentlichen Diskussion stehenden Abtreibungsfrage auseinander. Er konkretisiert seine Kritik jedoch dahingehend, daß er gerade den Verfügungskläger angreift, indem er ihm in den Schlagzeilen Kindermord vorwirft und im übrigen Text der Flugblätter die übrigen bereits dargelegten Äußerungen gebraucht. Dahingegen nehmen sich die Ausführungen zu Entwicklungen des Embryos und die Auseinandersetzung mit Abtreibungsfrage selbst einen wesentlich geringeren Raum ein. Jeden Betrachter wird es damit nahe gebracht, daß nach dem Willen des Verfassers dieser Äußerung besonderes Gewicht zukommt. Nach alledem ist es gerechtfertigt, dem Persönlichkeitsrecht des Verfügungsklägers angesichts der Schwere und der bereits eingetretenen und noch weiterhin drohenden Beeinträchtigung den Vorrang gegenüber dem Grundrecht des Verfügungsbeklagten auf freie Meinungsäußerung einzuräumen.

3. Es besteht auch Wiederholungsgefahr. Dies ergibt sich daraus, daß der Verfügungsbeklagte mehrfach Flugblätter verteilt hat, daß er eine große Anzahl hiervon in seinem Besitz hatte, daß er die von ihm geforderte Unterlassungs- und Verpflichtungserklärung nicht unterschrieben hat und in der mündlichen Verhandlung, obwohl er erklärt hat, er wolle den Verfügungskläger nicht persönlich beleidigen, sich nicht verpflichtet hat, die Namensnennung des Verfügungsklägers in Zukunft zu unterlassen.

Durch die vom Verfügungskläger zu Recht beanstandeten Äußerungen des Verfügungsbeklagten wird eine aufgeheizte und aufgehetzte Atmosphäre geschaffen, die befürchten läßt, daß es zu Schlimmeren kommt. Dem muß Einhalt geboten werden.

Dem Verfügungsbeklagten waren für den Fall der Zuwiderhandlung gegen des erlassene Verbot die in § 890 Abs. 1 ZPO vorgesehenen Ordnungsmittel anzudrohen.

II.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 ZPO.

Die Streitwertfestsetzung ergibt sich aus §§ 12 Abs. 2, 20 Abs. 1 GKG, õ 3 ZPO.

 

gez. Dr. Schmidt gez. Reitzenstein gez. Heinemann

Vors. Richter am LG Richterin am LG Richterin am LG

 

Verkündet am 20. Oktober 1997