Nürnberger Ketzerprozesse

gegen Kindermordgegner

EINE KETTE VON RECHTSBEUGUNGEN

II.4.h. Urteil im Berufungsprozeß

 

Geschätsnummer: 8 Ns 404 Js 43127/97

IM NAMEN DES VOLKES!

 

URTEIL

der 8. Strafkammer bei dem Landgericht Nürnberg-Fürth in der Strafsache gegen

 

Dr. Lerle Johannes, geb. am 01.06.1952 in Halle, deutscher Staatsangehöriger, ledig, selbständiger Unternehmer, Brüxer Str. 25, 91052 Erlangen

wegen Beleidigung

Berufung gegen das Urteil des Amtsgerichts Nürnberg vom 11.03.1998, aufgrund der Hauptverhandlung vom 24.11.1998, an der teilgenommen haben:

Vorsitzender Richter am Landgericht Kuda

als Vorsitzender

Alfons Eck, Heßdorf

Irmgard Paulus-Fleischmann, Fürth

als Schöffen

Staatsanwalt Eschenbacher

als Beamter der Staatsanwaltschaft

Justizsekretärin Volkert

als Urkundsb. der Geschäftsstelle

 

Die Berufung des Angeklagten gegen das Urteil des Amtsgerichts Nürnberg vom 11.3.1998 wird mit der Maßgabe als unbegründet verworfen, daß die unter ÜL-Nr. 5209/97 beschlagnahmten Gegenstände, nämlich ca. 2800 Flugblätter, hand und maschinenschriftliche Aufzeichnungen zum Flugblatt, eine Diskette zum Flugblatt und ca. 50 Stellungnahmen "Ist Dr.Freudemann ein Mörder (Cs 1064/97) eingezogen werden.

Der Angeklagte hat die Kosten des Berufungsverfahrens samt den eigenen notwendigen außergerichtlichen Auslagen zu tragen. Von den Kosten und Auslagen des erstinstanzlichen Verfahrens tragen der Angeklagte und die Staatskasse jeweils die Hälfte.

GRÜNDE

I.

Der Angeklagte Dr. Johannes Lerle wurde mit Urteil des Amtsgerichts Nürnberg vom 11.3.1998 wie folgt verurteilt:

Der Angeklagte wird wegen eines Vergehens der Beleidigung zu einer

Geldstrafe von 60 Tagessätzen zu je 20,00 DM

insgesamt also 1.200,00 DM

verurteilt.

Dem Angeklagten wird gestattet, die Geldstrafe beginnend am 15. des auf die Rechtskraft des Urteils folgenden Monats in monatlichen Raten von 50,00 DM zu bezahlen.

Bleibt er mit zwei Raten ganz oder teilweise mehr als zwei Wochen in Rückstand, wird die gesamte Reststrafe zur Zahlung fällig.

Im übrigen wird der Angeklagte freigesprochen.

Die sichergestellten Gegenstände (ÜL-Nr. 5209/97) werden eingezogen.

Der Angeklagte hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.

Angewendete Vorschriften: §§ 185, 194, 74, 74 a StGB

Gegen dieses in seiner Anwesenheit verkündete Urteil hat der Angeklagte, soweit er belastet wurde, per Fax vom 18.3.1998 das Rechtsmittel der Berufung eingelegt.

 II.

Die Berufung des Angeklagten ist form- und fristgerecht eingelegt worden, somit zulässig (§§ 312, 314 StPO). Das Rechtsmittel, mit welchem der Angeklagte einen Freispruch anstrebt, hat - von der Kostenentscheidung abgesehen - in sachlicher Hinsicht keinen Erfolg.

 III.

In der Berufungshauptverhandlung hat die Strafkammer folgenden Sachverhalt festgestellt:

Der Angeklagte Dr. Johannes Lehre zeichnet presserechtlich für folgendes Flugblatt verantwortlich:

 

(Anmerkung: Es folgt der Text des Flugblattes „Kindermord im Klinikum Nord. Dr. Freudemann tötet Kinder)

 

Der Angeklagte verteilte eine nicht mehr feststellbare Anzahl dieser Flugblätter am 5.9.1997 gegen 14.50 Uhr vor dem Klinikum Nord in der Flurstr. 17 zu Nürnberg an vorübergehende Passanten. In der Folgezeit wurden diese Flugblätter vom Angeklagten auch noch in Stadtgebieten Von Nürnberg und Stein verteilt.

Der Angeklagte, welcher ein Abtreibungsgegner ist, suchte sich Dr. Freudemann als Objekt seines Vorgehens aus, weil dieser nicht nur Abtreibungen vornimmt, sondern auch gegen einer einschränkenden gesetzlichen Regelung des Freistaates Bayern vor dem Bundesverfassungsgericht geklagt hat.

Dr. Freudemann, welcher sich in seiner Ehre gekränkt fühlt, hat am 5.9.1997 schriftlich und unterschriftlich Strafantrag wegen Beleidigung gestellt.

IV.

Dieser Sachverhalt steht fest aufgrund der Einlassung des Angeklagten, soweit ihr gefolgt werden konnte, der gem. § 325 StPO verlesenen Aussage des Zeugen Schwabe, des in Augenschein genommenen Flugblatts (Bl. 29) der in Augenschein genommenen Asservate (ÜL-Nr.. 5209/97), und des auszugsweise verlesenen Beschlagnahmenbeschlusses des Amtsgerichts Erlangen vom 12.9.1997 (Bl. 38 ff).

Der Angeklagte räumt den äußeren Sachverhalt unumwunden ein. Im einzelnen erklärt er, er habe das Flugblatt entworfen veranlaßt und verbreitet um das Gewissen anderer zu stärken. Durch die Abtreibung würden "Menschen" zerstückelt. Es handle sich nicht um Embryos, sondern um Menschen im Mutterleib. Er habe sich anhand eines Kommentars über den Mordparagraphen informiert. Aus diesem Paragraphen ergäbe sich der Begriff des Menschen nicht. Die Kommentierung, wonach der Mensch erst mit der Geburt existiere, sei für ihn nicht verbindlich. Deshalb sei die Tötung des Kindes im Mutterleib Mord. Da ihm die "Ketzerrichter" der Zivilkammer des Landgerichts Nürnberg-Fürth untersagt hätten, Dr. Freudemann als Mörder zu bezeichnen, habe er den Begriff des Berufskillers gewählt. Dr. Freudemann müsse namentlich als Tötungsspezialist und Mörder bezeichnet werden. Man müsse lautstark auf den "Menschen" im Mutterleib hinweisen.

Dieser Einlassung steht hinsichtlich des objektiven Sachverhalts im Einklang mit der einvernehmlich gem. § 325 StPO verlesenen Aussage des Zeugen Schabe. Im übrigen korrespondiert die Einlassung des Angeklagten mit den am 5.9.1997 verbreiteten Flugblättern und den in Augenschein genommenen Asservaten.

V.

Zu Recht hat das Amtsgericht den Angeklagten eines Vergehens der Beleidigung gem. §§ 185, 194 StGB schuldig gesprochen. Rechtfertigungsgründe stehen dem Angeklagten nicht zur Seite.

Dazu im einzelnen:

1.) Der Angeklagte hat in objektiver Hinsicht den Arzt Dr. Freudemann in seiner äußeren Ehre gekränkt indem er ihn durch die Äußerung Berufskiller und Folterknecht in seiner Stellung innerhalb der menschlichen Gesellschaft tief herabgesetzt hat. Beide Bezeichnungen stellen innerhalb der menschlichen Gesellschaft die niedrigste Form des Verbrechers dar. Insbesondere ist der Berufskiller im allgemeinen Bewußtsein unterhalb des Mörders anzusiedeln. Der Angeklagte wußte dies auch. Immerhin war ihm von der 17.Zivilkammer des Landgerichts Nürnberg-Fürth die Bezeichnung des Dr. Freudemann als "Mörder" untersagt worden. Der Angeklagte umging diese Untersagung, indem er Dr. Freudemann nunmehr als Folterknecht und insbesondere als Berufskiller bezeichnete. Letztere Bezeichnung stellt noch eine Steigerung der Kränkung dar. Der Angeklagte hat mit seinem Flugblatt diese Mißachtung auch nach außen Kund getan. Er wollte und wußte, daß diese Äußerungen, insbesondere das Flugblatt den Dr. Freudemann zu Kenntnis gelangten. Dies folgt einmal aus dem Standort der Flugblattverteilung. Zum anderen ist dieser Vorsatz daraus herzuleiten, daß derartige Flugblattaktionen allgemein Interesse, Rundfunk und Fernsehen bekannt werden, somit auch Dr. Freudemann zur Kenntnis gelangten, was der Angeklagte wußte. Der Angeklagte hatte den unbedingten Vorsatz der Kränkung. Somit ist die Vorschrift des § 185 StGB in objektiver und subjektiver Hinsicht erfüllt. Der erforderliche Strafantrag gem. § 194 StGB liegt vor, woraus sich auch die Kenntnis der Kränkung und die Ehrverletzung als solche ergeben.

2.) Rechtfertigungsgründe stehen dem Angeklagten nicht zur Seite. Hierbei kommen allenfalls die Vorschriften des § 193 StGB und die des Artikel 5 Abs. 2 GG in Betracht, wobei letzterer Artikel als Verfassungsvorschrift die strafrechtliche Vorschrift des § 193 StGB überlagert. Andere Rechtfertigungsgründe wie der des § 32 StGB oder des Artikel 4 des GG scheiden von vornherein aus.

Die Vorschrift des § 193 StGB stellt somit einen zusätzlichen Rechtfertigungsgrund dar. Beleidigung ist dann nicht strafbar, wenn sie in Wahrnehmung berechtigter eigenen oder allgemeiner Interessen geschieht, wobei die eigenen Interessen in angemessener Weise gewahrt werden müssen. Eine derartige angemessene Interessenwahrung liegt jedoch nicht vor. Dem Angeklagten ist zwar einzuräumen, daß er als Abtreibungsgegner aus seiner Sicht ein schätzens- und schützenswertes Ziel verfolgt. Es steht auch fest, daß in dem Zeit lange andauernden Abtreibungsstreit die Fronten der Gegner und Befürworter der Abtreibung sich unversöhnlich gegenüberstehen. Somit ist es auch berechtigt, diesen Streit mit "harten Bandagen" führen zu dürfen. Dies kann jedoch nicht dazu führen, Sachverhalte zu verdrehen und Personen, welche eine andere Auffassung vertreten, in rabulistischer Weise abzuqualifizieren. Auszugehen ist hierbei von der Tatsache, daß sich Dr. Freudemann im Rahmen der zur Zeit geltenden gesetzlichen Regelung gehalten hat. Er nimmt also Abtreibungen nach einer Regelung vor, welche vom Bundestag getroffen und vom Bundesverfassungsgericht nicht außer Kraft gesetzt wurde. Dennoch bleibt es dem Angeklagten zunächst unbenommen, gegen diese Regelung weiter vorgehen zu dürfen. Dies gilt jedoch nicht für Art und Umfang der konkreten Vorgehensweise. Der Angeklagte weiß genau, daß der medizinische Eingriff des Dr. Freudemann nicht lebende Menschen, sondern Embryonen betrifft. Der Angeklagte hat sich diesbezüglich auch durch einen einschlägigen Kommentar informiert. Ihm ist der Unterschied zwischen einem Embryo und einem lebenden Menschen des weiteren im Eilverfahren von der 17. Zivilkammer des Landgerichts Nürnberg-Fürth klargemacht worden. Der Angeklagte versucht allerdings, diesen Unterschied zu umgehen und so sein Vorgehen zu rechtfertigen, indem er sich seine eigene Rechtsordnung schafft. Denn er läßt flugs den Menschen mit der Vereinigung der mütterlichen Eizelle und der väterlichen Samenzelle entstehen. Mit dieser trickreichen Variante will erreichen, daß er Dr. Freudemann ungestraft als Berufskiller, also als einen besonders niederträchtigen Mörder bezeichnen darf. Dieses Verhalten ist durch § 193 StGB nicht gedeckt.

Der Angeklagte kann sich auch nicht auf das Recht der freien Meinungsäußerung gem. § 5 Abs. 1 GG berufen. Diese Vorschrift billigt dem Angeklagten zwar in sehr weitreichender Weise das Recht zu, die freie Meinung zu äußern. Dieses Recht wird jedoch durch Artikel 5 Abs. 2 GG eingeschränkt. Diese Vorschrift schützt auch die persönliche Ehre des verletzten. Diese Ehre hat der Angeklagte schlimmer Weise verletzt. Es ist zwar richtig, daß jedermann seine Meinung äußern können muß, um die Vielfalt des Lebens eines demokratischen Staates erhalten zu können. Dazu zählt auch scharfe und überzogene Kritik. Dies gilt insbesondere bei einem derartig subtilen Thema wie dem Abtreibungsstreit. Dennoch gilt auch hier die Meinungsfreiheit nicht grenzenlos. Der Angeklagte hat die Grenzen bei weitem überschritten, was er auch weiß, jedoch in seiner Verbohrtheit nicht wahrhaben will. Der Angeklagte nimmt sein Eintreten für ein Abtreibungsverbot zum Anlaß, um gegen die Einzelperson des Dr. Freudemann bewußt vorgehen zu können, weil dieser nicht nur Abtreibungen vornimmt, sondern auch vor dem Bundesverfassungsgericht wegen der in Bayern vorgenommenen einschränkenden Regelung klagt. Das Flugblatt ist insoweit eindeutig. Der Angeklagte verweist in dem Flugblatt darauf, daß sich Dr. Freudemann als Berufskiller mit Straffreiheit nicht zufrieden gäbe, sondern darüber hinaus noch das Grundrecht der freien Berufsausübung einklagen würde. Durch diese eindeutigen Formulierungen gibt der Angeklagte zu erkennen, daß ihm der Streit über das Abtreibungsverbot in der konkreten Situation zweitrangig ist. In erster Linie kommt es ihn darauf an, Dr. Freudemann als Person an den Pranger zu stellen, ja moralisch zu vernichten. Dies folgt aus der Verhaltensweise des Angeklagten, welcher einmal Dr. Freudemann und seine Arbeitsstelle im Flugblatt nennt, zum anderen vor der Arbeitsstelle demonstriert und diese Flugblätter verteilt, schließ lich noch durch eine weitere Verbreitung per Briefkasteneinwurf im Stadtgebiet von Nürnberg und Stein sorgt. Bei dieser Handlungsweise ist es dem Angeklagten gleichgültig, ja bewußt, daß er Tatsachen verdreht. Einmal schafft er sich seine eigene Rechtsordnung, indem er beschlossene Gesetze negiert. Zum anderen verdreht er feststehende Begriffe wie "Mensch" und "Embryo", um somit den ausgesprochenen Kränkungen die vermeintliche Rechtfertigung geben zu können. Außerdem interessiert ihn die für den Arzt Dr. Freudemann geltende Rechtsituation in keiner Weise. Das Verhalten des Angeklagten wird deutlich illustriert durch sein perfides und vabulistisches Ausweichen nach Gerichtsentscheidungen. Weil ihm die "Ketzerrichter" des Landgerichts Nürnberg-Fürth den Begriff "Mörder" untersagt haben, weicht er auf die Begriffe des Folterknechtes und insbesondere des Berufskillers aus, um Dr. Freudemann kränken zu können. Dabei hat er sich unter den ihm verhaßten Ärzten, welche Abtreibungen vornehmen, bewußt den vor dem Bundesverfassungsgericht klagenden Dr. Freudemann vorgenommen. Daß ursprüngliche Ziel der Auseinandersetzung mit den Abtreibungsbefürwortern wird dabei hintangestellt. Die Äußerungen des Angeklagten sind eindeutig. Eine andere Auslegeung gibt es nicht. Das primäre Ziel des Angeklagten war, wie der Inhalt des Flugblattes eindeutig ergibt, die Erkränkung des verhaßten Dr. Freudemann. Somit ist das Verhalten des Angeklagten durch § 5 Abs. 1 GG nicht gedeckt. Die Einschränkung des § 5 Abs. 2 GG greift durch.

VI.

Zur Strafzumessung hat die Kammer folgende Feststellungen getroffen:

Der ledige Angeklagte hat zunächst in der früheren DDR Theologie studiert. Er kam dann 1982 in die Bundesrepublik Deutschland, studierte in Erlangen weiter und promovierte. Weiterhin unternahm er Studien in den Vereinigten Staaten von Amerika, arbeitete auch dort sowei auch in der früheren UDSSR. Der Angeklagte ist nicht vorbestraft. Er betreibt zur Zeit ein Entrümpelungsunternehmen. Das Geschäft geht nach eigenen Angaben schlecht. Weiterhin äußert sich zu seinen finanziellen Verhältnissen nicht.

VII.

Bei der Strafzumessung hat sich die Kammer von folgenden Überlegungen leiten lassen:

Zunächst ist vom Strafrahmen des § 185 StGB auszugehen, welcher die Verhängung von Freiheitsstrafe bis zu 1 Jahr oder von Geldstrafe vorsieht. Zu Recht hat das Erstgericht nur die Verhängung einer Geldstrafe in Betracht gezogen. Die vom Erstgericht verhängte Geldstrafe von 60 Tagessätzen ist persönlichkeits- sowie schuld- und tatangemessen. Dabei ist zugunsten des Angeklagten zu berücksichtigen, daß er ein positives Ziel verfolgt, von seiner Meinungsfreiheit - wenn auch hier in ungesetzlicher Weise - Gebrach macht, den äußeren Sachverhalt voll einräumt und bisher ein tadelfreies Leben geführt hat. Denn der Angeklagte ist nicht vorbestraft. Zulasten des Angeklagten geht die massive Art der Vorgehensweise, welche erheblich über den "Normalfall" einer Beleidigung liegt. Insgesamt gesehen ist die Entscheidung des Erstgerichts nicht zu beanstanden.

Die Höhe des Tagessatzes wird gem. § 40 Abs. 2 StGB angemessen niedrig auf 20,00 DM geschätzt.

Die Entscheidung über die Zahlungserleichterungen folgt aus § 42 StGB.

VII.

Die Einziehung der beschlagnahmten und im Urteilstenor näher bezeichneten Gegenstände beruht auf § 74, 74 d StGB.

IX.

Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 464 Abs. 1, 467 Abs. 1, 473 Abs. 1 StPO.

 

gez. Kuda