Nürnberger Ketzerprozesse

gegen Kindermordgegner

EINE KETTE VON RECHTSBEUGUNGEN

IV.1.h. Berufungsurteil

Aktenzeichen: 10 Ns 404 Js 47438/1998

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IM NAMEN DES VOLKES!

 

URTEIL

 

der 10. Strafkammer bei dem Landgericht Nürnberg-Fürth in der Strafsache gegen

Dr. Lerle Johannes, geb. am 01.06.19521n Halle, deutscher Staatsangehöriger, ledig, selbst. Unternehmer, Brüxer Str. 25, 91052 Erlangen

wegen Beleidigung

Berufung gegen das Urteil des Amtsgerichts Erlangen vom 24.01.2000,

aufgrund der Hauptverhandlung vom 31.07.2000,

an der teilgenommen haben:

Vorsitzender Richter am Landgericht Skauradzun als Vorsitzender

Josef Ricke, Nürnberg

Klaus Dieter Raithel, Nürnberg

als Schöffen

Staatsanwältin Eckenberger als Beamtin der Staatsanwaltschaft

Justizsekretärin z.A. Volkert als Urkundsb. der Geschäftsstelle

  • Die Berufungen des Angeklagten und der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Amtsgerichts Erlangen vom 24.1.2000 werden als unbegründet kostenpflichtig verworfen.
  • Der Angeklagte hat auch die eigenen notwendigen außergerichtlichen Auslagen zu tragen.
  •  

    GRÜNDE: .

    I.

    Mit Urteil des Amtsgerichts Erlangen vom 24.1.2000 wurde der Angeklagte wegen Beleidigung zur Geldstrafe von 60 Tagessätzen à 30,00 DM verurteilt.

    Die Einziehung von 384 beschlagnahmten Flugblätter "Auf zum Ketzerprozeß", eines Computers Compact PC Modell Lauer, von 5 Disketten, eines Druckers Epson sowie eines Anschlußkabels wurde angeordnet.

    Gegen dieses in seiner Anwesenheit verkündete Urteil hat der Angeklagte zu Niederschrift der Geschäftsstelle des Amtsgerichts Erlangen am 27.1.2000 ein nicht näher bezeichnetes und zunächst nicht mit Gründen versehenes Rechtsmittel eingelegt, welches als Berufung zu behandeln war.

    Auch die Staatsanwaltschaft hat gegen das amtsgerichtliche Urteil mit Schriftsatz vom 25.1./27.1.2000 Rechtsmittel der Berufung eingelegt.

    Beide Rechtsmittel der Berufung sind statthaft, in rechter Form und rechter Frist eingelegt und damit insgesamt zulässig.

    Das Rechtsmittel, mit dem der Angeklagte anstrebt die Aufhebung des amtsgerichtlichen Urteils und seinen Freispruch, hat keinen Erfolg.

    Das Rechtsmittel der Staatsanwaltschaft, mit welchem eine empfindlichere Ahndung des Angeklagten erstrebt wird, hat ebenfalls keinen Erfolg.

    II.

    1.)

    a)

    Der 48 Jahre alte, ledige Angeklagte ist als Sohn eines evangelischen Pfarrers und späteren Dozenten am theologischen Seminar in Leipzig, zusammen mit drei Geschwistern in guten und geordneten Familienverhältnissen in Halle aufgewachsen. Als Pfarrerssohn durfte der Angeklagte in der früheren DDR kein Gymnasium besuchen. Nach Besuch der zehnklassigen Polytechnischen Oberschule hat der Angeklagte anschließend eine dreijährige Ausbildung zum Facharbeiter für Chemie absolviert. Anläßlich dieser Ausbildung hat der Angeklagte 1972 das Abitur nachgeholt und die Hochschulreife erworben, so daß er anschließend ein Jahr in Halle und hernach in Leipzig in einem Seminar der Lutherischen Freikirche evangelische Theologie studieren konnte. Während seiner Studienzeit hat der Angeklagte begonnen, an einer Dissertation über den Theologien Ebrard zu arbeiten.

    Ende der 70-iger Jahre hat der Angeklagte bei der Lutherischen Freikirche in Sachsen das erste theologische Staatsexamen abgelegt. Wegen zeitlich unzureichender Tätigkeit als Vikar konnte der Angeklagte bei dieser Freikirche kein zweites Staatsexamen ablegen.

    Die Eltern des Angeklagten sind 1981, nachdem der Vater 1980 das 65. Lebensjahr erreicht hatte, in die damalige Bundesrepublik Deutschland nach Erlangen übergesiedelt. 1982 ist der Angeklagte seinen Eltern gefolgt. In Erlangen hat der Angeklagte seine Dissertation beendet und 1988 zum Dr. theol promoviert. Während dieser Zeit hat der Angeklagte ein Buch Über die Taufe geschrieben.

    Um die englische Sprache erlernen zu können, hat sich der Angeklagte 1983 1 Jahr in Amerika aufgehalten. Zur Erlernung der russischen Sprache war der Angeklagte 1993 ca. 6 Monate in Petersburg.

    Während der Angeklagte bis etwa 1992 am Institut für anorganische Chemie der Universität Erlangen-Nürnberg als Chemiearbeiter beschäftigt war, hat der Angeklagte nach seiner Rückkehr aus Petersburg in verschiedenen Bereichen gearbeitet und mit 630,00 DM- Jobs als Lagerarbeiter, Küchenarbeiter und Gärtnergehilfe seinen Lebensunterhalt verdient. Das Mitte der 90-iger Jahre mit einem Kompagnon gegründete Unternehmen zur Entrümpelung ist nicht recht gut gelaufen. Zuletzt hat der Angeklagte für ein Bestattungsunternehmen gearbeitet. Zum Teil wird der Angeklagte auch heute noch von seinem 85 Jahre alten Vater finanziell unterstützt.

    Der Angeklagte hat zu seinen drei Geschwistern einigermaßen Kontakt. Die beiden Brüder des Angeklagten sind als Theologe, bzw. als Psychiater, die Schwester des Angeklagten als Ärztin berufstätig.

    Konkrete Angaben zu seinen monatlichen finanziellen Einkünften hat der Angeklagte nicht abgegeben.

    Der Angeklagte bewohnt z.Z. alleine eine kleine Sozialwohnung.

    b.)

    Der Angeklagte ist wie folgt bislang bestraft worden:

    AG Nürnberg, 11.3.1998, 45 Cs 404 Js 43127/97, rechtskräftig seit 23.6.1999, Beleidigung, 60 Tagessätze zu je 20,00 DM Geldstrafe, Einziehung, Unbrauchbarmachung.

    Das Amtsgericht Nürnberg hat in seinem Urteil vom 11.3.1998 folgenden Sachverhalt festgestellt:

    "Der Angeklagte zeichnete presserechtlich verantwortlich für das Flugblatt "Kindermord im Klinikum Nord Dr. Freudemann tötet Kinder", in dem es u.a. heißt:

    Dr. Freudemann foltert - schlimmer als im KZ, ein Berufskiller gibt sich mit Straffreiheit nicht zufrieden, sondern klagt das Grundrecht der freien Berufsausübung ein .... und den Mordinstrumenten des Folterknechts .... Der geschädigte Artz Dr. Freudemann fühlte sich dadurch in seinem sozialen Achtungsanspruch herabgewürdigt und in seiner Ehre gekränkt, was der Angeklagte auch billigend in Kauf nahm.

    Dr. Freudemann hat deshalb form- und fristgerecht Strafantrag gestellt.

    Exemplare des verfahrensgegenständlichen Flugblattes wurden vom Angeklagten am 5.9.1997 gegen 14.50 Uhr vor dem Klinikum Nord, 90419 Nürnberg, Flurstr. 17, an vorübergehende Passanten verteilt. In der Folgezeit wurde auch eine unbekannte Anzal dieser Flugblätter als Postwurfsendung in den Stadtgebieten von Nürnberg und Stein verteilt.

    Am 5.9.1997 übergab der Angeklagte dem ihn kontrollierenden Polizeibeamten vor dem Klinikum Nord in Nürnberg, Flurstr. 17, ein Schriftstück, in dem er als presserechtlich Verantwortlicher zu dem Vorwurf der Beleidigung des Geschädigten Dr. Freudemann Stellung nimmt.

    In diesem Schriftstück führt der Angeklagte u.a. folgendes. aus:

    Wer bestreitet, daß Dr. Freudemann ein Mörder ist, weil die Menschen, die er ständig bei vollem Schmerzempfinden lebendig zerstückelt, für das Gebiet des Strafrechts keine Menschen sind, der müßte folgerichtig bestreiten, daß der ehemalige Reichskanzler Adolf Hitler ein Judenmörder war. Denn die Juden waren für das Gebiet des Strafrechts keine Menschen, sondern Untermenschen. Da man nur Menschen ermorden kann, hätte Hitler die Juden lediglich getötet, nicht aber ermordert.

    Die Kinder, die Dr. Freudemann lebendig zerstückelt, sind wehrlos. Folglich handelt Dr. Freudemann heimtükisch. Außerdem ist diese Art des Tötens grausam. Somit erfüllt Dr. Freudemann mindestens zwei Kriterien, die seine Tötungshandlungen als Mord qualifizieren. Der Sachverhalt ist somit völlig eindeutig: Dr. Freudemann ist ein Mörder - sollte man meinen.

    Aber im Sinne der deutschen Sprache, die zu definieren der Bundestag keine Vollmacht hat, haben sowohl Dr. Freudemann als auch Hitler Menschen getötet. Somit ist der eine ein Kinder- und der andere ein Judenmörder. Beide verdienen gleichermaßen die öffentliche Verachtung, die einem Mörder zukommt.

    Der geschädigte Arzt Dr. Freudemann fühlt sich durch diese Äußerungen in seinem sozialen Achtungsanspruch herabgewürdigt und in seiner Ehre gekränkt, was der Angeklagte auch billigend in Kauf nahm. Dr. Freudemann hat deshalb form- und fristgerecht Strafantrag gestellt (AG Nürnberg, 45 Cs 404 Js 43127/97).

    Das Landgericht Nürnberg-Fürth hat mit Urteil vom 24.11.1998 die Berufung des Angeklagten gegen das Urteil des Amtsgerichts Nürnberg vom 11.3.1998 verworfen (LG Nbg-Fürth 8 Ns 404 Js 43127/97) .

    Die Revision des Angeklagten gegen das Berufungsurteil des Landgerichts Nürnberg-Fürth hat das BayObLG mit Beschluß vom 22.6.1999 gem. § 349 II StPO verworfen (BayObLG, 5 St RR 97/99) .

    Das BVerfG hat mit Beschluß der 1. Kammer des BVerfG vom 6.9.1999 die Verfassungsbeschwerde des Angeklagten gegen die erwähnten Urteile nicht zur Entscheidung angenommen. In den Gründen der verfassungsgerichtlichen Entscheidung wird ausgeführt:

    "Die Verfassungsbeschwerde hat keine grundsätzliche Bedeutung. Die von ihr aufgeworfenen Fragen sind in der Rechsprechung des BVerfG geklärt (vgl. zusammenfassend BFerfGE 93, 266). Ihre Annahme ist auch nicht zur Durchsetzung der Grundrechte des Beschwerdeführers angezeigt. Für den behaupteten Verstoß gegen das Grundrecht der Meinungsfreiheit und die weiteren als verletzt gerügten Grundrechte des Beschwerdeführers ist nichts hervorgetreten. Auch der Kampf gegen ein vermeindliches Unrecht gibt dem Beschwerdeführer nicht das Recht, seinerseits anderen Unrecht zu- zufügen" (BVerfG, 1 BvR 1204/99).

    2.)

    a)

    Dere Angeklagte zeichnet presserechtlich verantwortlich für folgendes Flugblatt:

     

    Es folgt die Ablichtung des Flugblattes “Auf zum Ketzerprozeß”

     

    Am Montag, den 9.11.1998 gegen 10.00 Uhr hat der Angeklagte vor dem Kollegienhaus der Universität Erlangen-Nürnberg, Universitätsstr. 15 an vorübergehende Passanten Exemplare dieses Flugblattes verteilt u.a. an die Studentin Sabine Reuter.

    Am 19.11.1998 gegen 12.00 Uhr wurden vor der Mensa der Technischen Fakultät der Universtität Erlangen-Nürnberg erneut sieben Flugblätter dieses Inhalts auf einem Tisch neben anderem Informationsmaterial aufgefunden.

    Der Frauenarzt Dr. Freudemann hat über seine Rechtsanwältin mit Schriftsatz vom 11.11.1998, eingegangen am selben Tag bei der Staatsanwaltschaft des Landgerichts Nürnberg-Fürth, Strafantrag gegen den Angeklagten gestellt.

    b)

    Aufgrund Beschlusses des Amtsgerichts Erlangen vom 12.11.1998 wurde die Wohnung des Angeklagten durchsucht und aufgrund des Beschlusses des Amtsgerichts Erlangen gleichen Datums beschlagnahmt 384 der oben erwähnten Flugblätter, ein Computer (Compact PC, Modell Lauer) , 5 Disketten mit Materialien für die Erstellung und Vorbereitung von Flugblättern, ein Drucker Marke Epson Modell LX 800, sowie eine Tüte mit Anschlußkabeln.

    III.

    1.)

    Der Angeklagte hat sich eingelassen, es treffe zu, daß er am 9.11.1998 das von ihm entworfene, hergestellte und verantwortete Flugblatt vor dem Kollegienhaus in Erlangen in der Öffentlichkeit an vorübergehende, ihm unbekannte Passanten verteilt habe. Er habe auch dafür gesorgt, daß am 19.11.1998 vor der Mensa der Technischen Fakultät der Universität Erlangen-Nürnberg auf einem Tisch, neben anderem Informationsmaterial sein Flugblatt in mehrfacher Anzahl ausgelegen habe.

    Der Angeklagte hat im wesentlichen der Kammer mitgeteilt:

    Den Inhalt dieses Flugblattes werde er unbeirrt weiter öffentlich verbreiten. Er werde weiterhin die biblische Lehre verbreiten, daß die Kinder im Mutterleib von Gott geschaffene Menschen sind. Seit seiner Zeugung sei ein Kind im Mutterleib ein Mensch. Wenn er, der Angeklagte, Dr. Freudemann vorwerfe, er töte Menschen, dann sei dies eine straffreie Tatsachenbehauptung und keine Meinungsäußerung. Ein Richter, der in Wahrheitskategorien denke, müsse erkennen, daß es eine Tatsachenfefststellung sei, daß Dr. Freudemann Menschen zu Tode foltere.

    2.)

    Der Kammer ist im anhängigen Verfahrten ein Schreiben des Vaters des Angeklagten vom 7.6.1999 an den Bundestagsabgeordneten Dr. Theo Waigel bekannt geworden, in welchem dieser u.a. folgendes ausführt:

    "Eine der Ursachen für die überdosierte Polemik in den Aktivitäten meines Sohnes ist eine Persönlichkeitsstörung mit querulatorischen Anteilen auf dem Boden frühkindlicher Hirnschädigung.

    Trozt seiner Neigung zur Einseitigkeit und zu gelegentlichen rigoristischen Überspitzungen war mein Sohn den Anforderungen eines Studiums und einer Promotion gewachsen. Doch in den letzten Jahren haben sich zunehmend intellektuelle Schwächen eingestellt, die ihm die Ausübung eines Berufes unmöglich machen. In seiner Polemik gegen Schwangerschaftsabbrüche hat er die Fähigkeit verloren, zwischen einer Argumentation ad rem und Beschimpfungen ad hominem zu unterscheiden. Das ist der Hintergrund der Beleidigungen, für die er jetzt strafrechtlich zur Verantwortung gezogen wird. Im letzten Monat hat sich sein psychischer Zustand dermaßen verschlechtert, daß er nicht einmal mehr mit seinen Eltern sachlich diskutieren kann.

    In fanatischer Hingabe für die Lebensrettung von Kindern vor ihrer Geburt hat mein Sohn sich nie in den Grenzbereich zur Gewalttätigkeit begeben, sondern ist stets im Bereich verbaler Attacken .geblieben".

    Insbesondere der Hinweis des Vaters des Angeklagten bezüglich der frühkindlichen Erkrankung des Angeklagten war Anlaß für die Kammer, die Schuldfähigkeit des Angeklagten ausführlich und gründlich sachverständig überprüfen zu lassen.

    Der Sachverständige Dr. Lotter hat hierzu der Kammer dargelegt, die somato-neurologische Untersuchung des Angeklagten habe keinen sicher als krankhaft zu wertenden Befund ergeben. Die testpsychologische Untersuchung aattestiere dem Angeklagten eine überdurchschnittlich hohe Intelligenz. Diese Untersuchung habe keinen Hinweis auf eine schizoide Persönlichkeitsstörung ergeben.

    Der Sachverständige hat der Kammer mitgeteilt, eine frühkindliche Hirnschädigung könne bei dem Angeklagten nicht ausgeschlossen werden. Diese sei jedoch, ausgehend von dem unauffälligen somato-neurologischen Befund und der sehr guten Intelligenz des Angeklagten vollkommen kompensiert, so daß bei dem Angeklagten keine “krankhafte seelische Störung” vorliege.

    Eine “tiefgreifende Bewußtseinsstörung” komme, so der Sachverständige, angesichts des wiederholten Gesamttatgeschehens nicht in Frage.

    Er, der Sachverständige, sei der Ansicht, daß es sich bei dem Angeklagten um eine akzentuierte Persönlichkeit mit fanatisch- paranoiden und schizoiden Charaktermerkmalen handele. Ob diese Folgen einer frühkindlichen Hirnschädigung oder Ausdruck einer psychologischen Normvariante sei, könne nervenärztlicherseits nicht geklärt werden. Diese Frage könne jedoch offen bleiben, weil den charakterlichen Auffälligkeiten kein Krankheitswert zukomme.

    Der Sachverständige hat zusammengefaßt dargelegt, Zielstrebigkeit, Folgerichtigkeit und Konsequenz ohne jeden Hinweis für Krankheitswertigkeit würden keinerlei Anknüpfungstatsachen für . eine Beeinträchtigung der Einsichtsfähigkeit des im Verhalten und im Lebensstil sicher aus der Norm fallenden Angeklagten ergeben. Auch die Handlungsfähigkeit sei trotz einer frühkindlichen Hirnschädigung schuldrechtlich relevant nicht eingeschränkt.

    Dr.Lotter hat ausgeführt:

    "Man mag aus einem anderen ethischen Blickwinkel Herrn Dr. Lerle als einen von seinen fixen oder überwertigen Ideen beherrschten Querulanten abtun - der Beschuldigte selbst ist unserer Ansicht nach, insbesondere aufgrund seiner guten Intelligenz, sich über die Folgen seines Tuns und Handelns durchaus im Klaren".

    Zu dem Anliegen des Angeklagten hat der Sachverständige dargelegt, die Frage, wann bei einem gezeugten Lebewesen von einem Menschen gesprochen werden könne, sei verschieden zu beantworten. Richtig sei, daß wohl nach heutigen medizinischen Erkenntnissen das Lebewesen im Leib der Mutter ab dem Zeitpunkt der Eiverschmelzung als Mensch bezeichnet werden könne. Er, der Sachverständige, weise jedoch darauf hin, daß das Lebewesen im Mutterleib ausgehend von möglichen verschiedenen Standpunkten, seien sie ethischer, moralischer, theologischer oder juristischer Art, auch durchaus mit anderen Bezeichnungen umschrieben werden.

    3.)

    Die Kammer kennt den Sachverständigen Dr.Lotter aus zahlreichen Gutachten, die er für die Kammer erstellt hat. Der Sachverständige hat auch vorliegend die Kammer verständlich und nachvollziehbar beraten. Die Kammer hat die Darlegungen des Sachverständigen überprüft und sie für überzeugend gefunden. Deshalb hat sich die Kammer den Ausführungen des Sachverständigen inhaltlich angeschlossen und sich diese Äußerungen zu eigen gemacht.

    Danach ist die Kammer überzeugt, daß der Angeklagte im schuldfähigen Zustand gehandelt hat. Es hat sich auch kein Anhaltspunkt dafür ergeben, daß die Schuldfähigkeit des Angeklagten im Rahmen des § 21 StGB erheblich eingeschränkt gewesen ist.

    IV.

    Der Angeklagte hat sich schuldig gemacht der Beleidigung gern. § 185 StGB.

    1.)

    Der Angeklagte hat in objektiver Hinsicht den Arzt Dr. Freudemann in seiner äußeren Ehre gekränkt, indem er durch die Wortwahl "zu Tode foltern" und "Verbrechen" die Tätigkeit des Arztes nicht als legales Tun, sondern als erhebliches kriminales Unrecht dargestellt hat. Zu Recht hat das Erstgericht ausgeführt, daß beide Bezeichnungen innerhalb der menschlichen Gesellschaft eine Mißachtung und Herabsetzung der konkreten Person Dr. Freudemann bewirken.

    In der Tat wußte dies der Angeklagte und wollte er dies auch durch Veröffentlichung mittels seines Flugblattes erzielen.

    Der Angeklagte hat mit seinem Flugblatt die Mißachtung des Dr. Freudemann auch nach außen kundgetan. Er wollte und wußte, daß diese Äußerungen, insbesondere das Flugblatt dem Dr. Freudemann zur Kenntnis gelangten. Dies folgt einmal aus dem Standort der Flugblattverteilungen. Zum anderen ist dieser Vorsatz daraus herzuleiten, daß derartige Flugblattaktionen allgemein Interesse, Rundfunk und Fernsehen bekannt werden, somit auch Dr. Freudemann zur Kenntnis gelangten, was der Angeklagte wußte. Der Angeklagte hatte somit den unbedingten Vorsatz der Kränkung.

    Damit ist die Vorschirft des § 185 StGB in objektiver und subjektiver Hinsicht erfüllt.

    2.)

    Rechtfertigungsgründe stehen dem Angeklagten nicht zur Seite.

    Hierbei kommen allenfalls die Vorschriften des § 193 StGB und die des Artikel 5 II GG in Betracht, wobei letzterer Artikel als Verfassungsvorschrift die strafrechtliche Vorschrift des § 193 StGB überlagert. Andere Rechtfertigungsgründe, wie der des § 32 StGB oder des Art. 4 des GG scheiden von vornherein aus

    a)

    Die Vorschrift des § 193 StGB stellt einen zusätzlichen Rechtfertigungsgrund dar. Beleidigung ist dann nicht strafbar, wenn sie in Wahrnehmung berechtigter eigener oder allgemeiner Interessen geschieht, wobei die eigenen Interessen in angemessener Weise gewahrt werden müssen. Eine derartige angemessene Interessenwahrung liegt jedoch nicht vor.

    Dem Angeklagten ist zwar einzuräumen, daß er als Abtreibungsgegner aus seiner Sicht ein schätztens- und schützenswertes Ziel verfolgt. Es steht auch fest, daß in dem lange Zeit andauernden Abtreibungsstreit die Fronten der Gegner und Befürworter der Abtreibung sich unversönlich gegenüberstehen. Somit ist es auch berechtigt, diesen Streit mit “harten Bandagen” führen zu dürfen. Dies kann jedoch nicht dazu führen, Sachverhalte zu verdrehen und Personen, welche eine andere Auffassung vertreten, in rabulistischer Weise abzuqualifizieren. Auszugehen ist hierbei von der Tatsache, daß sich Dr. Freudemann im Rahmen der zur Zeit geltenden gesetzlichen Regelung erhalten hat. Er nimmt also Abtreibungen nach einer Regelung vor, welche vom Bundestag getroffen und vom Bundesverfassungsgericht nicht außer Kraft gesetzt wurde. Dennoch bleibt es dem Angeklagten zunächst unbenommen, gegen diese Regelung weiter vorgehen zu dürfen. Dies gilt jedoch nicht für Art und Umfang der konkreten Vorgehensweise.

    b) .

    Der Angeklagte kann sich auch nicht auf das Recht der freien Meinungsäußerung gern. Art. 5 I GG berufen. Diese Vorschrift billigt dem Angeklagten zwar in sehr weitreichender Weise das Recht zu, die freie Meinung zu äußern. Dieses Recht wird jedoch durch Art. 5 II GG eingeschränkt. Diese Vorschrift schützt auch die persönliche Ehre des Verletzten. Diese Ehre hat der Angeklagte in schlimmer Weise verletzt.

    Es ist zwar richtig, daß jedermann seine Meinung äußern können muß, um die Vielfalt des Lebens eines demokratischen Staates erhalten zu können. Dazu zählt auch scharfe und überzogene Kritik. Dies gilt insbesondere bei einem derartigen subtilen Thema, wie dem Abtreibungsstreit. Dennoch gilt auch hier die Meinungsfreiheit nicht grenzenlos.

    Der Angeklagte hat die Grenzen bei weitem überschritten, was er auch weiß, jedoch in seiner Verbortheit nicht wahrhaben will. Der Angeklagte nimmt sein Eintreten für ein Abtreibungsverbot zum Anlaß, um gegen die Einzelperson des Dr. Freudemann bewußt vorgehen zu können, weil dieser nicht nur Abtreibungen vornimmt, sondern auch vor dem Verfassungsgericht gegen die wegen der in Bayern vorgenommenen einschränkenden Regelung geklagt hat.

    In erster Linie kommt es den Angeklagten darauf an, Dr. Freudemann als Person an den Pranger zu stellen, ja moralisch zu vernichten. Dies folgt aus der Verhaltensweise des Angeklagten welcher diese Flugblätter verteilt. Bei dieser Handlungsweise ist es dem Angeklagten gleichgültig, ja bewußt, daß er Tatsachen verdreht. Der Angeklagte schafft sich seine eigene Rechtsordnung, indem er beschlossene Gesetzte negiert.

    Den Angeklagten interessiert die für den Arzt Dr. Freudemann geltende Rechtsituation in keiner Weise. Das Verhalten des Angeklagten wird deutlich illustriert durch sein perfides und vabulistisches Bezeichnen von Gerichtsverhandlungen als Ketzerprozessen.

    Der Angeklagte hat sich unter den ihm verhaßten Ärzten, welche Abtreibungen vornehmen, bewußt den Geschädigten Dr. Freudemann vorgenommen. Das ursprüngliche Ziel der Auseinandersetzung mit den Abtreibungsbefürwortern wird dabei hinangestellt. Die Äußerungen des Angeklagten sind eindeutig. Eine andere Auslgegung gibt es nicht. Das primäre Ziel des Angeklagten war, wie der Inhalt des Flugblattes eindeutig ergibt, die Ehrkränkung des verhaßten Dr. Freudemann. Somit ist das Verhalten des Angeklagten durch Art. 5 I GG nicht gedeckt. Die Einschränkung des Art. 5 II GG greift durch.

    . 3.)

    Der Frauenarzt Dr. Freudemann hat form- und fristgerecht gegen den Angeklagten Strafantrag gestellt.

    V.

    Bei der Strafzumessung ist auszugehen vom Strafrahmen des § 185 StGB, der Freiheitsstrafe von 1 Monat bis zu 2 Jahren oder Geldstrafe vorsieht.

    Innerhalb dieses Strafrahmens war die Strafe, in Übereinstimmung mit dem Erstgericht, festzusetzen auf eine Geldstrafe von 60 Tagessätzen, wobei die Strafkammer sich von folgenden Erwägungen hat leiten lassen:

    1. )

    a)

    Der Angeklagte hat den äußeren Sachverhalt frank und frei eingeräumt.

    Der Angeklagte läßt sich bei seinem Tun von eigenen, hohen moralischen und ethischen Grundsätzen leiten.

    Der Angeklagte war zur Tatzeit noch nicht rechtskräftig bestraft, denn die Rechtskraft des Urteils des Amtsgerichts Nürnberg vom 11.3.1998 ist erst am 23.6.1999, mithin nach der anhängigen Tat des Angeklagten am 9.11.1998 eingetreten.

    b)

    Der Angeklagte war jedoch durch das erwähnte Urteil des Amtsgerichts Nürnberg vom 11.3.1198, sowie das Berufungsurteil des Landgerichts Nürnberg-Fürth vom 24.11.1998 vorgewarnt.

    2. )

    Unter Abwägung dieser für und wider den Angeklagten sprechenden Umstände erachtet die Kammer eine Geldstrafe für ausreichend (§ 47 StGB) .

    Der Angeklagte war zur Tatzeit nicht rechtskräftig bestraft. Der Angeklagte hat sich von eigenen hohen moralischen Ansprüchen leiten lassen. Besondere Umstände in der Person und der Tat des Angeklagten, welche zur Einwirkung auf den Angeklagten die Verhängung einer kurzen Freiheitsstrafe unerläßlich gemacht hätten, vermochte die Kammer daher nicht zu sehen.

    Auch die Verteidigung der Rechtsordnung gebietet nicht die Verhängung einer kurzen Freiheitsstrafe. Der rechtstreu und gesetzesmäßig lebende Bürger wird es mit Verständnis sehen, daß die Kammer den fanatisch für das Recht des ungeborenen Lebens - für ein Recht, welches von einem durchaus großen Teil der Bevölkerung bejaht wird - kämpfenden Angeklagten, einen Angeklagten, der in seiner Wortwohl gegenüber dem ersten Verfahren bereits moderater geworden ist, "nur" mit Geldstrafe ahndet.

    Der Durchschnittsbürger wird es mit Verständnis begrüßen, wenn man jemand, wie den Angeklagten, der es anstrebt, von der Justiz zum Märtyrer gestempelt zu werden, mit einer moderaten Geldstrafe eben nicht zum Märtyrer werden läßt.

    3.)

    Bei nochmaliger Abwägung der erörterten Strafzumessungstatsachen hat die Kammer die Geldstrafe mit 60 Tagessätzen für schuld- und tatangemessen, erforderlich, aber auch für ausreichend erachtet.

    4.)

    Die Kammer hat die Höhe des Tagessatzes mit 30,00 DM bemessen.

    Die Kammer schätzt das monatliche Nettoeinkommen des Angeklagten auf 600,00 DM. Dabei geht die Kammer davon aus, daß der Angeklagte in letzter Zeit stets 630,00 DM-Tätigkeiten ausgeübt hat und ansonsten von seinem Vater finanziell unterstützt worden ist.

    5.)

    Da der Angeklagte die Geldstrafe aus dem Urteil des Amtsgerichts Nürnberg vom 11.3.1998 bereits durch Verbüßung von Ersatzfreiheitsstrafe "bezahlt" hat, waren Gesamtstrafenerwägungen nicht anzustellen.

    6.)

    Zu Recht hat das Erstgericht die Einziehung der bezeichneten Gegenstände gem. § 74 StGB angeordnet.

    Diese Gegenstände gehören, wie der Angeklagte selbst eingeräumt hat, dem Angeklagten. Der Angeklagte hat selbst vorgetragen, er werde auch weiterhin bemüht sein, gegen die Tätigkeit des Dr. Freudemann mit allem ihm zur Verfügung stehenden Mitteln vorzugehen. Daß er dies auch ernsthaft so in die Tat umgesetzt hat, belegt die Tatsache, daß der Angeklagte nur wenige Tage nach der Tat bereits wieder die entsprechenden Flugblätter öffentlich ausgelegt hat.

    7.)

    Kosten: § 473 StPO.

     

    gez. Skauradzun

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