Nürnberger Ketzerprozesse

gegen Kindermordgegner

EINE KETTE VON RECHTSBEUGUNGEN

IV.1.d. Urteil

AMTSGERICHT ERLANGEN

 

1 Ds 404 Js 47438/98

 

IM NAMEN DES VOLKES

 

URTEIL

 

des Amtsgerichts Erlangen

 

in der Strafsache gegen

Dr. Lerle Johannes, geboren am 01.06.1952 in Halle, ledig, selbst. Unternehmer, wh.: Brüxer Str. 25, 91052 Erlangen, deutscher Staatsangehöriger;

wegen Beleidigung

aufgrund der Hauptverhandlung vom 24.01.2000,

an der teilgenommen haben:

1. Richterin am Amtsgericht Rosinski als Strafrichterin

2. Staatsanwältin Eckenberger als Vertreterin der Staatsanwaltschaft

3. Justizobersekretärin Dollinger als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle.

 

1. Der Angeklagte Dr. Johannes Lerle ist schuldig der Beleidigung.

 

2. Er wird deswegen zu einer

 

Geldstrafe von 60 Tagessätzen zu je 30,-- DM

 

verurteilt.

 

3. Die beschlagnahmten 384 Flugblätter "Auf zum Ketzerprozeß", der beschlagnahmte Komputer Compact PC Modell Lauer, die beschlagnahmten 5 Disketten, der beschlagnahmte Drucker Epson sowie die Anschlußkabel werden eingezogen.

 

4. Der Angeklagte hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.

 

Angewendete Vorschriften:

 

§§ 185, 194, 74 I, 74 d 1, 2 StGB.

G r ü n d e :

I .

Der ledige Angeklagte besuchte in der ehemaligen DDR zehn Jahre die Schule und absolvierte sodann eine Ausbildung zum Chemiefacharbeiter, wobei er in Kombination damit die Hochschulreife erwarb. Er studierte in der Folgezeit Theologie. 1982 siedelte er in das Bundesgebiet über und promovierte. Derzeit arbeitet der Angeklagte als selbständiger Entrümpelungsunternehmer sowie auf 630,-- DM-Basis seit Oktober 1999 in einer Reifenfirma. Er verdient eigenen Angaben zufolge nur das.Lebensnotwendigste (ca. 630,-- bis 1.000,-- DM monatlich), um sich ansonsten "geistigen Zielen" zu widmen. Der Angeklagte hat weder Unterhaltspflichten noch Schulden. Das Bundeszentralregister vom 16.06.1999 weist hinsichtlich des Angeklagten keine Eintragungen auf. Angaben des Angeklagten zufolge ist jedoch ein Urteil des Landgerichts Nürnberg-Fürth vom 11.03.1998, Az.: 8 Ns 404 Js 43127/97 inzwischen rechtskräftig. Die eingelegte Verfassungsbeschwerde sei vom Bundesverfassungsgericht nicht zur Entscheidung angenommen worden. Dort wurde der Angeklagte wegen Beleidigung zu einer Geldstrafe von 60 Tagessätzen zu je 20,-- DM verurteilt. Darüberhinaus ist beim Amtsgericht Fürth ein weiteres Verfahren wegen Beleidigung gegen den Angeklagten anhängig.

Der Angeklagte zeichnet presserechtlich verantwortlich für das Flugblatt "Aufruf zum Ketzerprozeß" in dem es u. a. heißt:

  • "Weil es Menschen sind, die Dr. Freudemann zu Tode foltert, habe ich über diese Verbrechen in gleicher Weise geschrieben, wie üblicherweise über andere Verbrechen informiert wird. Als die kleine Natalie ermordet wurde, hatte die Presse den Tatort und den Namen des Täters genannt und sogar dessen Bild veröffentlicht ...
  • Doch bei der Namensnennung Dr. Freudemanns im Zusammenhang mit verabscheuungswürdigen Verbrechen, schreitet die Justiz ein ...
  • Weil ich die Wahrheit, dass Dr. Freudemann Menschen zu Tode foltert, ausgesprochen habe, werde ich von der Nürnberger Justiz verfolgt ...”
  • Exemplare dieses Flugblattes wurden vom Angeklagten am 09.11.1998 gegen 10.00 Uhr vor dem Kollegium in Erlangen, Universitätsstraße 15, an vorübergehende Passanten, unter anderem die Studentin Sabine Reuter, verteilt.
  • Am 19.11.1998 gegen 12.00 Uhr wurden vor der Mensa der Technischen Fakultät der Universität Erlangen-Nürnberg erneut sieben Flugblätter dieses Inhalts auf einem Tisch neben anderem Informationsmaterial aufgefunden.

    Der geschädigte Arzt Dr. Freudemann hat über seine Rechtsanwältin am 11.11.1998, eingegangen am selben Tag, schriftlich Strafantrag gestellt.

    Es wurden 384 der genannten Flugblätter beschlagnahmt, ebenso wurden beschlagnahmt ein Computer (Compact PC, Modell.Lauer), 5 Disketten mit Materialien für die Erstellung und Vorbereitung von Flugblättern, ein Drucker (Marke Epson Modell LX800) sowie eine Tüte mit Anschlußkabeln.

    Die Staatsanwaltschaft hat,die Strafverfolgung gemäß § 154 StPO auf den genannten Sachverhalt und die Gesetzesverletzung der Beleidigung beschränkt.

    III .

    Dieser Sachverhalt steht fest aufgrund der Angaben des Angeklagten, der den äußeren Sachverhalt einräumte sowie den ergänzenden Angaben des Sachverständigen Sauer. Hinsichtlich des persönlichen Werdegangs steht der Sachverhalt fest aufgrund der Angaben des Angeklagten sowie dem verlesenen und vom Angeklagten als richtig anerkannten Auszug aus dem Bundeszentralregister. Der Angeklagte selbst hat eingeräumt, unter Einsatz des o. g. Computers nebst o. g. Zubehörs die Flugblätter erstellt zu haben, für den Inhalt verantwortlich zu sein und diese verbreitet zu haben. Er beruft sich jedoch auf Art. 5 GG bzw. § 193 StGB.

    IV.

    Damit hat sich der Angeklagte schuldig gemacht der Beleidigung gemäß den §§ 185, 194 StGB-

     

    1. Vorab sei festgestellt, dass das Thema des Schwangerschaftsabbruchs ein in der Gesellschaft äußerst kontrovers diskutiertes Problem ist, zu welchem im Rahmen der Meinungsfreiheit jedermann seine eigene Meinung zusteht.

    Es kann dahinstehen bleiben, ob ungeborenes menschliches Leben als "Embryo", "werdender Mensch" oder "Mensch" zu bezeichnen ist. Es handelt sich hierbei um verbale Definitionsfragen, in dessen Wahl der Angeklagte frei ist, zumal er angab, aus theologischer Sicht sei auch ungeborenes menschliches Leben als "Mensch" zu bezeichnen.

    Insoweit liegt ein strafbares Verhalten des Angeklagten nicht vor.

    2.mit den Formulierungen “...die Dr. Freudemann zu Tode foltert ...” und "Verbrechen” in Zusammenhang mit der gesetzestreuen Tätigkeit von Dr. Freudemann hat der Angeklagte jedoch die Grenzen der Meinungsfreiheit bzw. Wahrnehmung berechtigter Interessen überschritten.

    Der Angeklagte hat in objektiver Hinsicht den Gynäkologen Dr. Freudemann in seiner Berufsehre wie in seiner äußeren Ehre gekränkt, da er durch die Wortwahl "zu Tode foltern" und "Verbrechen" die Tätigkeit Dr. Freudemanns nicht als legalen Beruf. sondern als erhebliches Kriminalunrecht darstellt. Beide Bezeichnungen bewirken innerhalb der menschlichen Gesellschaft eine Missachtung und Herabsetzung der konkreten Person. Dies wusste der Angeklagte und wollte es durch Veröffentlichung bewirken. Der Angeklagte hatte den direkten Vorsatz der Kränkung. Somit ist der Tatbestand des § 185 StGB erfüllt. Strafantrag gemäß § 194 StGB ist gestellt worden, woraus sich auch die Kenntnis der Kränkung und Ehrverletzung durch Dr. Freudemann ergibt.

    3. Der Angeklagte kann sich nicht auf die Wahrnehmung berechtigter Interessen gemäß § 193 StGB bzw. die Meinungsfreiheit gemäß Art. 5 Abs. 1 GG berufen.

    a) § 193 StGB:

Selbst bei Wahrnehmung berechtigter Interessen - diese unterstellt - entfällt eine Strafbarkeit gem. § 193 a. E. StGB nämlich deshalb nicht, weil die Beleidigung aus der Form der Äußerungen hervorgeht. Zwar ist dem Angeklagten einzuräumen, dass er ein kontroverses Thema aufgegriffen hat, in welchem durchaus auch mit sog. "harten Bandagen" gekämpft werden kann. Jedoch ist auch in diesem Fall zu beachten, dass das Recht des Angeklagten, eine konkrete Person zu attackieren, dort endet, wo aus der Formulierung heraus jede Sachlichkeit endet und auf der Ebene der Schmähkritik eine konkrete Person der Straftaten bezichtigt wird, obwohl diese Person - wie der Angeklagte weiß - im Rahmen geltender Gesetze handelt. Diese Form der Äußerung wird gerade durch § 193 a. E. StGB vom Schutz der Wahrnehmung berechtigter Interessen ausgenommen.

b) Art. 5 GG:

Der Angeklagte kann sich auch nicht auf das Grundrecht der Meinungsfreiheit gem. Art. 5 Abs. 1 GG berufen. Dieses Grundrecht wird durch den Schutz der persönlichen Ehre von Dr. Freudemann gem. Art. 5 Abs. 2 GG eingeschränkt. Im Spannungsverhältnis zwischen Art. 5 Abs. 1 und Abs. 2 GG ist eine Abwägung vorzunehmen, bei der nach der Wechselwirkungstheorie des Bundesverfassungsgerichts (vgl. BVerfGE 7,207) grundsätzlich der Meinungsfreiheit der Vorrang einzuräumen ist. Lediglich gezielt falsche Tatsachenäußerungen und Wertungen der sog. "Schmähkritik" sind danach von der Meinungsfreiheit nicht mehr gedeckt. Diese Grenze hat der Angeklagte jedoch in beiderlei Hinsicht überschritten:

Tatsache ist - wie der Angeklagte weiß - dass Dr. Freudemann im Rahmen der geltenden Gesetze rechtstreu handelt. Die Bezeichnung dieser Tätigkeit als "Verbrechen" hat neben einem wertenden Element auch eine gezielt falsche Tatsachenbehauptung inmitten, nämlich dass der Arzt geltendes Recht massiv übertritt. Dies verletzt Dr.. Freudemann in seinem persönlichen Ehrenschutz.

Darüberhinaus hat der Angeklagte durch die Worte "foltern" wie auch im Rahmen des wertenden Elements der Bezeichnung "Verbrechen" im Zusammenhang mit Dr. Freudemann sog. "Schmähkritik" geübt. Es handelt sich hierbei nicht mehr um eine bloße Übertreibung oder Verallgemeinerung. Beide Termini sind im allgemeinen Sprachgebrauch negativ belegt und konkret auf Dr. Freudemann bezogen. Insoweit geht es dem Angeklagten nicht mehr um die Auseinandersetzung in der Sache, sondern ausschließlich um eine gezielte Diffamierung Dr. Freudemanns ohne Sachbezug (vgl. BVerfGE 82, 284). Der Angeklagte hätte, wie seine Ausbildung, Intelligenz und Wortgewandtheit zeigt, durchaus auch sein Anliegen mit Worten zum Ausdruck bringen können, die diese Grenzen nicht überschreiten. Er hätte sich ohne Bezug zu dem bzw. den Handelnden in der Sache selbst ohne Beschimpfungen kritisch äußern können, indem er sich nur mit der Sache selbst auseinandersetzt. Dies genau hat der Angeklagte jedoch unterlassen, um vielmehr - seiner Intention entsprechend - die Person des Dr. Freudemann in unsachlicher Art und Weise in den Vordergrund zu rücken und persönlich zu diffamieren (vgl. BVerfGE a.a.O.).

V.

Dem Gericht stand ein Strafrahmen gemäß §§ 185, 194 StGB mit Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder Geldstrafe zur Verfügung.

a) Eine Strafrahmenverschiebung gemäß §§ 21, 49 StGB kam nicht in Betracht. Der Angeklagte ist den Ausführungen des Sachverständigen Sauer zufolge als voll schuldfähig anzusehen. Der Sachverständige ist als Psychiater und Landgerichtsarzt dem Gericht aus einer Vielzahl von Verfahren als sachkundig und kompetent bekannt. Er hat in einer dem Gericht nachvollziehbaren Art und Weise dargelegt, dass keine der vier Varianten des § 21 StGB auf den Angeklagten zuträfe. Es liege zwar eine auffällige Persönlichkeit vor; dies jedoch unterhalb der Grenze der "schweren anderen seelischen Abartigkeit". Dies ergäbe sich daraus, dass der Angeklagte in seinen übrigen Lebensbelangen in der Lage sei, gezielt, folgerichtig und konsequent zu handeln. Er sei auch in der Lage, sein tatbezogenes Tun zu reflektieren und die diesbezüglichen Konsequenzen vorherzusehen. Es handele sich um einen sog. "Überzeugungstäter", der in Kenntnis der Strafbarkeit handle. Diese Ausführungen macht sich das Gericht zu eigen. Dem ist nichts hinzuzufügen.

b) Innerhalb des so gegebenen Strafrahmens hat sich das Gericht von folgenden Erwägungen leiten lassen:

Zu Gunsten des Angeklagten sprach, dass er geständig und nicht vorbestraft war. Zu seinen Lasten war zu werten, dass er trotz anhängiger, offener und einschlägiger Strafverfahren handelte. Darüberhinaus war zu seinen Lasten die massive Art und Weise der Beleidigung sowohl in der Form wie in der der Verteilung durch Flugblätter zu sehen, mit welcher der Angeklagte über die durchschnittlichen Fälle von Belei¬digung weit hinausgegangen ist.

Insgesamt erschien daher eine Geldstrafe von 60 Tagessätzen ausreichend, aber auch erforderlich.

Die Höhe des einzelnen Tagessatzes wurde - am Sozialhilfeniveau orientiert - gemäß § 40 Abs. 2 StGB auf DM 30,-- festgesetzt.

Von einer Einbeziehung der Verurteilung durch das Landgericht Nü rnberg-Fürth hat das Gericht abgesehen, weil das offene Verfahren des Amtsgerichts Fürth als ebenfalls einbeziehungsfähig abgewartet werden sollte.

VI.

Gemäß § 74 StGB war der eingesetzte Computer nebst Zubehör einzuziehen, da er als Tatwerkzeug zur Erstellung der Flugblätter benutzt worden ist. Gemäß § 74 d StGB waren die sichergestellten Flugblätter einzuziehen.

 

Kosten: §§ 464, 465 StPO.

 

Erlangen, 10.02.2000.

 

gez. Rosinski

Richterin am Amtsgericht