Nürnberger Ketzerprozesse

gegen Kindermordgegner

EINE KETTE VON RECHTSBEUGUNGEN

Anhang

I. Andere Fälle von Rechtsbeugungen

I.2 Kinderraub durch das Jugendamt

Peter (4 Jahre) und Paul (27 Monate) saßen schon im Auto. Ihre Mutter (Ute Lehmann)  mußte nämlich zum Frauenarzt, denn sie erwartete ihr achtes Kind. Da erschienen unangemeldet Mitarbeiter des Jugendamtes des Landkreises Darmstadt-Dieburg und nahmen die beiden Kleinkinder mit. Vier Kinder wurden von Mitarbeitern des Jugendamtes direkt von der Schule abgeholt und dann nach einem dreiwöchigen Zwischenaufenthalt in einer Notunterkunft 200 km von den Eltern entfernt im Schwarzwald untergebracht. Der älteste Sohn lebte schon vorher bei den Großeltern. Aber das Jugendamt verbot ihm, seine Eltern zu besuchen.

Somit waren die beiden kleinsten Kinder (Peter und Paul) von den Eltern und Geschwistern getrennt. Psychologisch geschulte Fachkräfte des Jugendamtes hätten doch wissen müssen, daß eine derartige gewaltsame Trennung von Eltern und Geschwistern bei Kleinkindern zu psychischen Schäden führen kann. Auskunft über den Verbleib ihrer Kinder erhielten die Eltern zunächst nicht. Eine Gerichtsentscheidung, wie vom Gesetzgeber gefordert, lag damals noch nicht vor. Das Jugendamt rechtfertigte den gewaltsamen Zugriff auf die Familie mit dem Zauberwort “Gefahr im Verzug”. Worin bestand aber die “Gefahr”? War dies etwa der Bauschutt und die zum Tapezieren frisch gespachtelten nackten Wände in der Wohnung der Familie Lehmann? Erst nach fast zwei Monaten, am 23. Oktober 2000, beantragte das Jugendamt die notwendige Gerichtsentscheidung, die es am 19. Dezember 2000 erhielt.

Zur Gerichtsverhandlung wollte Familie Lehmann einen Journalisten mitbringen. Das war nicht möglich, denn der Gerichtstermin war nicht öffentlich. Hatte die Justiz etwa etwas zu verbergen, daß sie die Öffentlichkeit ausschloß? Warum waren Zeugen unerwünscht wie seinerzeit bei politischen Prozessen in der DDR? Der Kindesentzug wurde später am 28.3.2002 vom Oberlandesgericht Frankfurt bestätigt, ebenfalls unter Ausschluß der Öffentlichkeit.

Aus den vielen Schriftstücken zum Fall Lehmann geht nicht hervor, welches Verbrechen die Eheleute eigentlich begangen haben sollen. Was war denn so gravierend, daß nicht nur die Eltern, sondern auch noch die strafunmündigen Kinder sofort bestraft werden mußten? Denn laut Befragung steht ja fest, daß auch die Kinder bei ihren Eltern leben wollten, und das, obwohl bei der Befragung eine andere Antwort suggeriert worden war.

Den Eltern wurde vorgeworfen:

-- daß die Kinder fehlernährt seien.

Doch ärztliche Atteste bescheinigen, daß gegen die von den Eltern praktizierte Ernährung nichts einzuwenden ist.

-- daß die Kinder keine Schulbrote mithatten. Dabei wollten die Kinder keine. Die Mutter gab ihnen aber Joghurt und Obst mit.

-- daß sich die Kinder ihre Schlafplätze selbst aussuchen. Doch wenn den Eltern auch “fehlende Toleranz”1 vorgeworfen wird, dann widerspricht sich das Sündenregister ja selbst.

Diese wenigen Beispiele sollen zeigen, auf welchem Niveau sich die Vorwürfe gegen Frau und Herrn Lehmann bewegen, und daß diese kleinkarierten Beschuldigungen und tatsächlichen Unzulänglichkeiten nur vorgeschoben sind.

 

Bei der Suche nach den wirklichen Ursachen kommt man nicht umhin, die Lehmanns zu befragen. Und Frau Lehmann berichtet, daß sie im Mai 1990 ihr drittes Kind entbunden hatte. Der Arzt schlug ihr damals eine Sterilisation vor. Das sei nur ein kleiner Eingriff, und sie sei ja sowieso im Krankenhaus. Sie lehnte jedoch ab, da sie sich noch mehr Kinder wünschte. Anscheinend wurde in jener Entbindungsklinik generell nach dem dritten Kind die Sterilisation angeboten, und viele Frauen ließen sich auch sterilisieren. Immer wieder agitierte der Arzt für eine Sterilisation, so daß Frau Lehmann schroff reagierte und entrüstet zum Arzt sagte: Wenn Sie mir die Eileiter durchschneiden, dann schneide ich Ihnen ihre “Eier” ab. Daraufhin informierte der Arzt das Jugendamt in dem Sinne, daß Frau Lehmann psychisch labil sei. Fortan “betreute” das Jugendamt die Familie “sozialpädagogisch”. Das heißt, eine Mitarbeiterin des Jugendamtes suchte Frau Lehmann wiederholt auf und leistete Sexualberatung, um sie für die Emanzipation und die Geburtenkontrolle zu gewinnen. Frau Lehmann benötige einen Teilzeitjob, um sich emanzipieren zu können. Durch viele Kinder würden ihre intellektuellen Fähigkeiten verkümmern und ihr Studium als Chemietechnikerin wäre umsonst gewesen. Die Dreizimmerwohnung, die die Familie damals bewohnte, sei für mehr als drei Kinder zu klein. Weitere Kinder könne Frau Lehmann “nicht ohne Konsequenzen” bekommen. Die “Konsequenzen” wurden allerdings nie konkretisiert.

Dann baute die Familie ein Eigenheim. Doch das wurde vom Jugendamt als Ausdruck einer Psychose gewertet. Am 6. Jan. 1992 wurde das vierte Kind geboren.

Nach der Entbindung des fünften Kindes (29. 12. 1993) eskalierte die Situation. 1994 erpreßte das Jugendamt die Frau Lehmann, in die Psychiatrie zu gehen. Frau Schnitzspan, die in Zusammenarbeit mit dem Jugendamt die Familie “betreute”, wies drohend darauf hin, daß sie als Psychologin vom Gericht eine Einweisung in die Psychiatrie erwirken kann, wenn sie eine solche beantragen würde. Außer mit Zwangseinweisung hat sie auch mit Kindesentzug und Entmündigung gedroht. Das Jugendamt suchte für Frau Lehmann die psychiatrische Klinik aus. Dort wurde sie gegen ihren Willen mit Medikamenten behandelt, da sie nach Angaben der Psychologin Schnitzspan psychotisch sei. Eine Sterilisation sollte mittels Durchtrennung der Eileiter erfolgen. Frau Lehmann unterschrieb aber die entsprechende Einwilligung nicht und mußte daher drei Monate in der Psychiatrie bleiben.

Da aber zu Hause fünf Kinder zu versorgen waren, mußte ihr Mann Erziehungsurlaub nehmen. Seitdem lebt die Familie von Sozialhilfe. Die Geldnot ist dadurch besonders dramatisch, weil in Hessen die Sozialhilfesätze niedriger sind als in anderen Bundesländern und weil die Familie gebaut hatte, das Sozialamt aber die daraus resultierenden finanziellen Verpflichtungen nicht übernehmen darf.

Bei der Geburt des sechsten Kindes schreckte man nicht einmal vor einem Mordversuch zurück. Darüber berichtet Frau Lehmann in ihrer Klage bei dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte:

“Ich war mit Peter schwanger und wurde für den 10.04.1996 nach Groß-Umstadt in die Frauenklinik zur Geburtseinleitung bestellt. Ich hatte Durchfall und kam in der Nacht. Üblicherweise wird der Ehemann benachrichtigt bei der Einleitung. Sie taten es nicht. Ich war bei den vorigen Geburten auch am Wehentropf, deshalb merkte ich den Unterschied. Die Wehen wurden auf zwei Minuten und länger eingestellt, der Arzt sprach davon, daß ich mich nicht schämen brauche, es zuzugeben, daß das Kind eine Panne sei und unerwünscht. Ich riß die Kanüle raus und drohte, den einen Kopf kleineren Arzt zu töten, falls er nicht eine Hebamme und meinen Mann riefe. Er gab die Abtreibung zu, tat es und ein anderer Arzt, den ich kannte, setzte die Geburt zu einem lebenden Kind fort. Der abtreibende Arzt muß einer der Chefärzte gewesen sein. Peter wurde ohne mein Wissen am nächsten Tag auf neurologische und andere Schäden untersucht. Er schrie wie am Spieß, und ich ging einfach in die Tür rein: Untersuchung, nicht stören. Ich wußte, dahinter ist mein Kind, obwohl die Schwestern verneinten, und so war es. Die Ärztin hielt Peter mit dem Kopf nach unten und ich sagte ihr: Lassen Sie mein Kind in Ruhe oder ich halte Sie auch so lange mit dem Kopf nach unten, bis Sie brüllen. Ca. 10 Röhrchen mit ca. 10 ml Blut waren schon abgenommen. Dann sollte noch Hirnwasser punktiert werden. “Daß sowas Kinder kriegen darf und daß die Gesellschaft für die Aufzucht von sowas zahlen muß” faucht sie. Ich nahm sofort das nackte Kind und zog ihn im Zimmer an. Ein halbes Jahr später wieder: Kinder weg oder Psychiatrie. Ich weigerte mich abzustillen und Peter war mit in der Psychiatrie. Diesmal sollte ich zur Krebsvorsorge zu einer Frauenarztpraxis. Dort auf dem gynäkologischen Stuhl sollte mir eine Spirale eingeführt werden. Ich sprang auf und sagte: Nein!. Die Schwester und die Ärztin sagten, ich bekäme meine Kleidung erst, wenn die Spirale gelegt sei. Ich ging mit nacktem Unterleib und barfuß zur Psychiatrie zurück. Kurz bevor ich da war, kam die Schwester mit meiner Kleidung, die ich anzog. Von da an galt ich als unheilbar psychisch krank”.

Seit der Geburt ihres fünften Kindes wurde Frau Lehmann vom Jugendamt zu insgesamt vier Psychiatrieaufenthalten erpreßt. Jedes Mal war das Druckmittel: Kinder weg. Während dieser vier Klinikaufenthalte konnte keine psychotische Störung nachgewiesen werden. Doch aufgrund von sogenannten “Informationen” des Jugendamtes wurde sie mit Neuroleptika auf Psychose behandelt. Dadurch verschlimmerte sich ihre vordem schwache Epilepsie erheblich. Beim ersten Klinikaufenthalt in Heppenheim stellte ein Arzt ihr gegenüber mündlich die Diagnose: “krankhafter Kinderwunsch”.

Aus Angst vor dem Jugendamt verleugnete Frau Lehmann ihre achte Schwangerschaft. Sie befürchtete, man könne ihr Kind töten. Daß diese Sorge nicht unberechtigt war, sollte sich noch bestätigen. Dazu schreibt Frau Lehmann in ihrer Klage beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte:

“Am 30.08.2000 kam das Jugendamt: Entweder Psychiatrie, diesmal beide [also auch Herr Lehmann], oder wir würden die Kinder nie wieder sehen. Herr Weber [Leiter des Jugendamtes] sagte: >Entweder Sie lassen es bei sieben Kindern, oder sie sehen sie alle nie wieder. Die Chance dazu haben Sie in der Klinik!< Herr Wamser [Leiter des Ordnungsamtes Roßdorf] sagte zu Herrn Weber: Das Balg kommt nicht zur Welt - worauf Herr Weber antwortete: Dafür sorge ich schon. Wir konnten den wegen >Suizidgefahr< herbeigerufenen Arzt davon überzeugen, daß wir juristischen Beistand nötiger hätten als psychiatrischen. So ist mir eine Psychiatrieeinweisung erspart geblieben. Aber die verbleibenden zwei Monate bis zur normalen Geburt von Noah Daniel Lehmann am 25.10.2000 schlief ich fluchtbereit mit gepackten Koffern aus Angst vor Abtreibung”.

Sieben Kinder wurden, wie bereits berichtet, durch das Jugendamt von ihren Eltern getrennt. Nur das inzwischen geborene achte Kind (Noah) lebt bei ihnen. Die Auflagen des Jugendamtes, um die Kinder zurückzubekommen, sind inzwischen erfüllt. Der Bauschutt ist weggeräumt, die Zimmer sind renoviert, ein zweites Bad wurde eingebaut, Herr und Frau Lehmann nehmen an einer Ergotherapie teil, Frau Lehmann muß monatlich zum Neurologen. Doch obwohl die Eheleute Lehmann die Auflagen des Jugendamtes erfüllten, bekommen sie ihre Kinder nicht zurück. Die Anstiftung zur Ermordung des noch ungeborenen achten Kindes (Noah) zeigt, daß es dem Jugendamt unmöglich um das Kindeswohl gehen kann. In Wirklichkeit geht es um einen Glaubenskrieg, der für ein bestimmtes Frauen- und Familienbild geführt wird.

Die Eheleute Lehmann gehören in der Tat zu einer sexuellen Minderheit, die im Unterschied zu anderen sexuellen Minderheiten von unserer Gesellschaft nicht akzeptiert wird. Die Eheleute Lehmann sind nähmlich reprosexuell. Das heißt, sie trennen Sexualität nicht von Fortpflanzung ab. Kinder betrachten sie nicht als Schadensfall, sondern als Gabe Gottes. Und wenn Kinder kein Schaden sind, dann sehen sie auch keine Ursache, Kinder zu verhüten. Diese Auffassung wird weder von der Familie des Herrn Lehmann, noch von der Familie von Frau Lehmann, noch von den Nachbarn, noch vom sonstigen Umfeld geteilt.

Als Beispiel für Kinderfeindlichkeit berichtete mir Frau Lehmann von ihrem Erlebnis im Frauencafè Weiterstadt. Nur Frauen haben dort Zutritt. Frau Lehmann aber wurde der Zutritt verwehrt, denn sie sei keine Frau, sondern “eine Unfrau wie Mutter Theresa”. Denn eine studierte und emanzipierte Frau habe höchstens drei Kinder. Was darüber hinausgeht, sei Verrat an der Emanzipation. Es ist sicherlich kein Zufall, daß bei Frau Lehmann die Gehirnwäsche mit dem Ziel einer Sterilisation nach der Geburt des dritten Kindes eingesetzt hat.

Es ist eine weitverbreitete Auffassung, daß nur geistig Minderbemittelte viele Kinder hätten, da der Gebrauch von Verhütungsmitteln sie intellektuell überfordere. Dieses weitverbreitete Vorurteil wirkte sich beim Umgang des Jugendamtes mit der Familie Lehmann aus. Das Jugendamt versuchte nicht nur, die Familie für Frauenemanzipation und Verhütung zu gewinnen, sondern schickte auch Zivis ins Haus, um Frau Lehmann bei der Hausarbeit anzuleiten; und das, obwohl sie geprüfte Hauswirtschafterin ist. In den schriftlichen Unterlagen der Zivis befand sich die “Information” des Jugendamtes, daß Frau Lehmann geistig minderbemittelt und psychisch krank sei.

Typisch für Ideologen aller Couleur ist, daß diese nur solche scheinbaren oder wirklichen Fakten registrieren, die die eigene Auffassung bestätigen. Tatsachen aber, die ein Vorurteil in Frage stellen, werden hingegen leicht übersehen. So registriert man bei den Lehmanns den “krankhaften Kinderwunsch” und die beklagenswerte tatsächliche Unordnung. Man übersieht aber, daß beide einen Hochschulabschluß und daß sie in Eigenarbeit ein Haus errichtet haben. Frau Lehmann hat einige Schweißarbeiten verrichtet. Aufgrund dieses Einbruchs in eine Männerdomäne könnte man sie als emanzipierte Frau betrachten, wenn da nicht dieser “krankhafte Kinderwunsch” wäre. Keines ihrer Kinder war in der Schule auffällig oder mußte gar eine Schulklasse wiederholen. Somit können die elterlichen Gene, die an die Kinder weitergegeben wurden, so schlecht auch nicht sein.

Die ideologisch bedingte selektive Wahrnehmung von Tatsachen blieb nicht auf das Jugendamt beschränkt, sondern beeinflußte wohl auch die Arbeit des Gerichtsgutachters. Das Oberlandesgericht Frankfurt, das den Kinderraub in zweiter Instanz überprüfen sollte, bestellte bei Prof. Dr. H. - G. Voß vom Institut für Psychologie der TU-Darmstadt ein psychologisches Gutachten über die gesamte Familie. Prof. Voß war auch im Haus der Familie Lehmann. Er sah die armutsbedingte Leere im Kühlschrank. Er registrierte, daß es im Haus kein Sofa gibt, daß Kinder die ausgewachsene Kleidung ihrer älteren Geschwister trugen. Kurz: Er sah manches, was seinem Verständnis von Menschenwürde widerspricht.

Wie sich im Gespräch des Gutachters mit den Eheleuten Lehmann herausstellte, sieht Prof. Voß die Gefahr der Überbevölkerung mit der daraus resultierenden Gefährdung der Umwelt. Von daher wertet er es als unverantwortlich, so viele Kinder in die Welt zu setzen. Doch wieso werden in Deutschland zu viele Kinder geboren? Oder meint Prof. Voß etwa, daß das Weltbevölkerungsproblem durch Einwanderung nach Deutschland entschärft werden könnte?

Diese ideologische Gebundenheit von Prof. Voß muß sich doch störend auswirken, wenn er ein gerichtliches Gutachten erstellt. Sein “Gutachten” stützt sich weitgehend auf Material, das vom Jugendamt und anderen Kinderfeinden zusammengetragen worden war. Auf S. 76 seines “Gutachtens” heißt es: “Es besteht kein Anlass, an der Glaubwürdigkeit dieser von Fachkräften erstellten Berichte zu zweifeln”. Wenn z. B. jemand, der ein Gutachten über die Risiken der Kernkraft erstellen soll, sich auf Material stützt, das Siemens und andere Kernkraftwerkshersteller freundlicherweise zusammengetragen haben, dann wird dies den Inhalt des Gutachtens beeinflussen. Wenn dann auch noch der Gutachter mit Siemens verbunden ist, dann kennt man das “Untersuchungsergebnis” schon, bevor man das “Gutachten” gelesen hat.

Ebenso vorhersehbar war das Untersuchungsergebnis des Gerichtsgutachtens von Prof. Voß. Bei einem Akademiker wie Prof. Dr. Voß ist es zumindest erstaunlich, daß er nirgendwo das Problem thematisiert hat, ob die Informationen, auf die er sich stützt, nicht ebenso interessengeleitet sein könnten, wie es z. B. die Aussagen von “Fachkräften” der Versicherungswirtschaft sind. Weder wurden die Einschätzungen der Diplompsychologin Schnitzspan hinterfragt noch das kleinkarierte Sündenregister auf seine Richtigkeit hin überprüft. Letzteres wäre auch ohnehin nicht möglich gewesen, da das Jugendamt es ablehnt, seine Informanten zu nennen.

Im “Gutachten” wird darauf hingewiesen, daß das Jugendamt über eine “zwangsweise Einweisung von Frau Lehmann in die Psychiatrie” in Heppenheim berichte.2 Doch eine gerichtliche Einweisung hatte es aber nie gegeben. Dennoch ging Frau Lehmann nicht freiwillig in die Psychiatrie. Denn dazu wurde sie vom Jugendamt mit der Drohung des Kindesentzugs erpreßt. Das Jugendamt erpreßte zu einem bestimmten Verhalten (Psychiatrie, Behandlung durch Psychiaterin, Ergotherapie, gesundheitsschädigende Psychopharmaka), und durch dieses vom Jugendamt erpreßte Verhalten entstand der Anschein einer psychischen Krankheit. Auf diese Weise stützt das Jugendamt seine durch Ideologie bedingte Vorurteile. Natürlich kann Frau Lehmann diese Erpressung nicht anhand irgendeines Schriftstücks nachweisen. Das können auch diejenigen nicht, die von der Mafia zu Schutzgeldzahlungen erpreßt werden. Immerhin scheint im “Gutachten” ein nervenärztliches Attest vom 19.12.2000 berücksichtigt worden zu sein, in dem bescheinigt wurde, daß “kein Anhalt für eine psychotische Störung” besteht.

Um die Wegnahme der Kinder dennoch zu rechtfertigen, kam man nach Begutachtung der Kinder mittels verschiedener psychologischer Tests zu folgendem Ergebnis: “Im Persönlichkeitsbereich deuten die Befunde der Untersuchung auf eine gestörte Emotionalität und soziale Probleme bei allen Kindern hin”.3 Unter Hinweis auf die Fachliteratur meinte der “Gutachter”, die Ursache sei in der frühen Kindheit verwurzelt und könne keineswegs ausschließlich als “Errungenschaft” der Zeit seit der Trennung aus dem Elternhaus interpretiert werden. Da ein Nichtpsychologe weder die Tests noch die Fachliteratur kennt, kann die kritische Öffentlichkeit die Diagnose auch nicht überprüfen.

Auf S. 76 des “Gutachtens” wird ausgesagt, daß es nicht entscheidend sei, ob ein Verschulden der Eltern vorlag. “Für das einzelne Kind spielen lediglich die faktischen Verhältnisse in Bezug auf Fürsorge und Betreuung eine für das eigene Wohl ausschlaggebende Rolle. Es ist unbestritten, dass diese sich mit der Fremdplatzierung vom Sommer 2000 deutlich verbessert haben”.4 Und in der Tat: Inzwischen sind sechs Kinder der Eheleute Lehmann gemeinsam in zwei miteinander verbundenen Reihenhäusern untergebracht. Ein kinderloses Ehepaar ist für ihre Versorgung angestellt. Auch eine Erzieherin und eine Haushaltshilfe werden vom Steuerzahler bezahlt. Jedes Kind hat sein eigenes Zimmer. Materiell werden die Kinder somit besser versorgt als damals bei ihren Eltern, die auf Sozialhilfe angewiesen waren, weil das Jugendamt Herrn Lehmann mit der Androhung des Kindesentzugs die Erwerbstätigkeit untersagt hatte. Alles geschah angeblich wegen des Kindeswohls. Und das Kindeswohl wird vom Jugendamt definiert, und nicht von den Eltern, auch nicht von den betroffenen Kindern, die bei ihren Eltern leben wollen.

Daß der Kinderraub in Wirklichkeit aber eine Kampfhandlung in einem Glaubenskrieg ist, zeigen die Äußerungen des “Gutachtens” zum Fortpflanzungsverhalten der Lehmanns. Auf dem Hintergrund von sich häufenden und zuspitzenden Problemen in der Familie wäre es nach Ansicht des “Gutachters” für eine verantwortliche Sichtweise von Familienplanung notwendig gewesen, den Verzicht auf Geburtenkontrolle zu überdenken. Doch dazu scheinen die Eltern nicht in der Lage zu sein.5

Die Lehmanns sollen bestraft werden. Doch Kinderreichtum verstößt gegen kein Gesetz. Und ohne Gesetz keine Strafe, so steht es im deutschen Grundgesetz. Daher nennt man heute den Kinderraub eben “Fremdplatzierung im Interesse des Kindeswohls”. Und da man gegen die Lehmanns keinen Strafprozeß führte, hatten sie auch nicht die Rechte eines Angeklagten im Strafprozeß. Ihre Rechtsanwältin konnte nicht alle Akten einsehen. Die Öffentlichkeit einschließlich der Presse blieb vom Prozeß ausgeschlossen. Haben die Richter, die den Kinderraub in zwei Instanzen bestätigten, denn wirklich nicht gemerkt, daß die Justiz für einen Glaubenskrieg mißbraucht wird?

Die erste Instanz, das Amtsgericht, begründete seine Entscheidung mit einer “akute(n) Kindswohlgefährdung”, die dadurch gegeben sei, “daß die Eltern die Kinder vernachlässigen und bei der Erziehung/Betreuung erheblich versagen”. Weder aus dem Sitzungsprotokoll noch aus dem Urteil geht hervor, daß die Tatsachenbehauptungen, auf denen eine derart folgenschwere Beurteilung beruht, hinterfragt worden wären. Das ist damit vergleichbar, wie wenn jemand wegen Diebstahls verurteilt wird, die Richter sich aber nicht die Mühe machen, die einzelnen vorgeworfenen Diebstahlstaten nachzuweisen.

Die nächste Instanz, das Oberlandesgericht, ließ von Prof. Dr. Voß das bereits zitierte Gutachten anfertigen. Das Gerichtsprotokoll ist nichtssagend. Das Urteil weist darauf hin, daß Frau Lehmann wöchentlich einen Psychologen aufsucht und gemeinsam mit ihrem Ehemann an einer Ergotherapie teilnimmt. Durch diese Halbwahrheit entsteht der Eindruck, daß sie aufgrund einer psychischen Erkrankung die Kinder nicht versorgen könne. Doch eine derartige Erkrankung wurde nie nachgewiesen.

In dem Arztbrief des Psychiatrischen Krankenhauses Heppenheim vom 30.10.96 über ihren Stationären Aufenthalt vom 26.08.1996 - 28.09.1996 steht zwar, daß sie auf Psychose behandelt wurde. Im Arztbrief steht aber nicht, daß diese auch diagnostiziert worden war. Das bedeutet: Daß eine psychische Erkrankung vorliege, wurde lediglich behauptet, ist aber nicht nachgewiesen worden.

Zum Wesen des Rechtsstaates gehört, daß Betroffene die Möglichkeit haben, Entscheidungen der Verwaltung (z. B. des Jugendamtes) gerichtlich überprüfen zu lassen. Haben die Richter, die die gewaltsame Trennung der Familie Lehmann rechtfertigten, denn wirklich nicht gemerkt, daß ihre “Überprüfung” der Entscheidung des Jugendamtes dann zur Farce wird, wenn sie die vom Jugendamt stammenden “Informationen” nicht kritisch hinterfragen? War es wirklich nur Unfähigkeit, daß die Richter die Frage nirgendwo thematisiert hatten, ob die Informationen, die sie vom Jugendamt erhielten und die von ungenannten Informanten stammten, nicht ebenso interessengeleitet sein könnten wie die “Informationen” eines Lotterieverkäufers? Dabei haben Richter doch ständig damit zu tun, daß “Informationen”, die Prozeßparteien beisteuern, interessengeleitet sind. Folglich müßten sie mit diesem Problem vertraut sein.

Doch die Alarmglocken sollten den Richtern spätestens bei folgendem Satz im Gutachten des Prof. Voß geläutet haben: “Es kann nicht als ‘kindgerecht’ angesehen werden, die Entscheidung über einen Kindergartenbesuch des dreijährigen Peter diesem selbst aufzuerlegen”.6 Wozu muß ein Dreijähriger in den Kindergarten, wenn in seinem Elternhaus bereits ein Kindergarten ist? Die ideologische Abhängigkeit des “Gutachtens” springt bei diesem Satz doch geradezu in die Augen.

Waren der eine Richter am Amtsgericht (Jäger) und die drei Richter am Oberlandesgericht (Dr. Weychardt, Schmidt und Dr. Bauermann) wirklich so naiv, daß sie nicht auf den Gedanken kamen, daß eine ideologische Voreingenommenheit zu einer interessengeleiteten Auswahl von Informationen geführt haben könnte? Was haben diese Richter überhaupt für eine Bildung? Haben sie in der Schule und während ihres Studiums überhaupt eigenständiges Denken gelernt? Die vielen Fehlurteile zeigen jedenfalls, daß die Pisakatastrophe inzwischen längst in den Gerichtssälen angekommen ist.

Inzwischen erging am 15.04.03 ein “Beschluß” des Amtsgerichts Darmstadt an die Eltern Lehmann. Sie sollten innerhalb von drei Wochen eine Anmeldung ihres noch verbliebenen Sohnes Noah im Kindergarten dem Gericht vorlegen. Weder wurden die Eltern vorher angehört, noch wird im “Beschluß” irgendeine gesetzliche Grundlage für diese Forderung genannt. Unklar bleibt auch, ob dem Richter Malkmus, der diesen “Beschluß” erlassen hat, überhaupt bekannt ist, daß nach dem Grundgesetz Art. 7, Abs. 6 eine Vorschulpflicht, wozu ein verpflichtender Besuch eines Kindergartens gehören würde, nicht zulässig ist. Doch was kümmern Behörden und Gerichte irgendwelche Gesetze? Was kümmert sie das Grundgesetz? Immer mehr Eltern machen die traurige Erfahrung, daß ihre Kinder faktisch wie Staatseigentum behandelt werden.

Wenn es möglich ist, daß sich irgendwelche geistigen Zwerge wie absolutistische Fürsten aufführen, wer ist dann das nächste Opfer? Heute wird die Minderheit derer verfolgt, die in der Ehe ihre Sexualität zur Fortpflanzung einsetzen. Morgen ist es vielleicht irgendeine religiöse Minderheit und übermorgen sind es politische Abweichler. Das Beispiel der Familie Lehmann zeigt, wie sehr Rosa Luxemburg recht hatte, als sie schrieb: “Die Freiheit ist immer die Freiheit des Andersdenkenden”.

Wie Betroffene die Behördenwillkür empfinden, zeigt das Gespräch des Gerichtsgutachters mit der damals elfjährigen Susanna Lehmann7:

Gutachter: Und jetzt geht´s darum, wo ihr dann endgültig wohnen werdet.

Susanna:   Hm

Gutachter: Und was meinst du, was wohl das Beste wäre?

Susanna:   Zuhause.

Gutachter: Und warum?

Susanna:   Weiß nicht, da gefällt´s mir am besten.

Gutachter: Da gefällt´s dir am besten, da. Was ist denn da so schön zuhause?

Susanna:   Da bin ich mit meinen ganzen Geschwistern zusammen und da kann ich meine Mutter jeden Tag sehen...

 

 

 Johannes Lerle

 

 

P.S. Die Adresse von Familie Lehmann ist: In den Hintergärten 4, 64380 Roßdorf, Tel. 06071/71319

Fußnoten:

1 S. 75 des “Gutachtens”

2 S. 5 des “Gutachtens”

3 S. 75 des “Gutachtens”

4 S. 76 des “Gutachtens”

5 S. 77f. des “Gutachtens”

6 S. 79 des “Gutachtens”

7 S. 63” des Gutachtens”